Wie es uns gefällt
das komplette Besteck, über das der Haushalt verfügte. Sie war gerade dabei, alles der Größe nach zu ordnen. Leise hatte er sie angesprochen: «Mary, Mary, was machst du denn da?» Ihre Augen wanderten zwar in seine Richtung, aber sie sah durch ihn hindurch. Sofort war ihm klar, dass sie schlafwandelte. Sie stand auf, trat ans Fenster, streckte mit einem tiefen Seufzer die Arme in die Luft und murmelte: «Noch nicht fertig. Noch nicht fertig.» Dann drehte sie sich um und ging unverwandt an ihrem Bruder vorbei, hinauf in ihre Speicherkammer. Er legte das Besteck in die Schubladen zurück und begab sich wieder zu Bett.
Am anderen Tag hatte er sie nicht zu Gesicht bekommen. Sie war unter dem Vorwand, sie sei müde, auf ihrem Zimmer geblieben. Dann kam der nächste Tag, jener Sonntag, den man eigentlich für eine weitere Probe des Rüpelspiels im Sommernachtstraum reserviert hatte. Charles wusste nicht recht, ob Mary auftauchen würde, aber sie saß bereits am Frühstückstisch, als er herunterkam. Neben ihr lag eine Kopie des Regiebuchs.
«Tom Coates gibt einen guten Schnock ab», meinte sie, als sich Charles zu ihr setzte. «Von Mr Miltons Squenz bin ich allerdings nicht so überzeugt.» Sie klang sehr energisch.
«Der macht sich schon noch, Mary. Er wird die Rolle ausfüllen. Wie fühlst du dich denn?»
«Fühlen?»
«Du hast den gestrigen Tag im Bett verbracht.»
«Ich hatte nicht gut geschlafen, das war alles.»
«Aber jetzt bist du wieder erholt?»
«Natürlich. Charles, hast du dir deinen Text zu Herzen genommen? Die Rolle des Zettel ist sehr wichtig.»
«Zu Herzen nicht, aber auswendig gelernt habe ich ihn, und das ist viel befriedigender.»
«Das ist doch dasselbe.» Irgendwie zögerte sie, bevor sie den Tee einschenkte. «Mama und Papa sind in die Kirche gegangen. Wir müssen also nicht auf sie warten.»
Im Lauf der nächsten Stunde trudelten Tom Coates, Benjamin Milton und der Rest ein. Tizzy, die ihre «scheußlichen Stiefel» nicht auf ihren sauberen Fußböden haben wollte, scheuchte sie sofort in den Garten hinaus. Dank des strahlend schönen Wetters saßen sie ganz zufrieden unter der halb verfallenen Pagode.
«Es ist alles eine Frage der Inszenierung», meinte Benjamin zu Tom. «Schnock wird mit ganz hoher Stimme dargestellt. Und was spielst du?»
«Den Löwen.»
«Ganz genau. Nur Gebrüll. Hast du jemals gehört, dass ein Löwe zaghaft brüllt?»
«Und was ist mit Zettel?»
Selwyn Onions konnte es sich nicht verkneifen, wieder einmal Fakten zu erklären. «Zettel ist ein Weber, stimmt’s? Und heißt im Original ‹Bottom›. Wusstet ihr, dass man so auch die Porzellanspule nennt, auf die das Garn gewickelt wird?»
«Dann hat Shakespeare damit also nicht die Kehrseite gemeint?» Benjamin war baff. «Den Hintern?»
«Damit hat es gar nichts zu tun.»
«Lächerlich, Selwyn. Und was ist dann mit der Zeile: ‹Ich will Sturm erregen› ? Wenn das nicht das Stichwort für einen donnernden Furz ist, dann könnt ihr mich umtaufen.»
Mary gesellte sich zu ihnen. «Sie sind heute aber alle ungemein ernst.»
«Wir haben gerade über unsere Rollen diskutiert, Miss Lamb.» Benjamin fürchtete sich ein bisschen vor Charles’ Schwester.
«Oh, die muss man forsch und sehr lebhaft anlegen.»
«Genau das habe ich ihnen auch erklärt. Das muss rauschen, dass es kracht.»
«Gut formuliert, Mr Milton. Meine Herren, wir wollten die Szene mit der Wand proben. Würden Sie bitte Ihre Plätze einnehmen?»
Ganz hinten im Garten stand mit weit ausgebreiteten Händen Selwyn Onions, der den Kesselflicker Schnauz alias die Wand spielte.
«Sorgen Sie dafür», erklärte ihm Mary, «dass wir durch Ihre Finger hindurchsehen können. Es muss wie eine Spalte aussehen. Links von Ihnen wird Charles stehen und Mr Drinkwater auf der anderen Seite.»
«Haben die zwei ein Stelldichein, Miss Lamb?»
«Ja, ein Stelldichein. Tun das nicht alle Liebespaare?»
«Es handelt sich um einen Kommentar zum ganzen Stück», erläuterte Alfred Jowett jedem, der es hören wollte. «Ein Spiel im Spiel. Was ist wirklich und was falsch? Wenn dieses Spiel eine Illusion ist, entspricht dann eher das Rahmenspiel der Wirklichkeit? Oder sind beide nur Träume?»
Mary musste wieder an ihren letzten Traum denken. Sie war in einem Kräutergarten gewesen und hatte sich am würzigen Duft der einzelnen Sträucher erfreut. Da war jemand zu ihr getreten und hatte gesagt: «Als Nonne wären Sie hier willkommen.»
Alfred Jowett hielt
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