Wie Fackeln im Sturm
wissen könnte. Jetzt zog er die Möglichkeit in Betracht und starrte die Hütte an. „Nein“, sagte er schließlich. „Woher sollte sie?“
„Fürwahr“, pflichtete Lucan ihm bei, als sie abstiegen, aber seiner Stimme fehlte jegliche Überzeugung.
Das alte Weib machte sich an der Feuerstelle zu schaffen, als die Gefährten die Kate betraten, und so hatten sie Gelegenheit, sich ein wenig umzuschauen.
Hatte die Hütte von außen auch schäbig und verfallen gewirkt, im Innern war sie sauber und recht einladend. Auf einem grob gehauenen Tisch an einem Ende des Raums standen Blumen in einer Holzschale, während eine schmale Bettstatt die gegenüberliegende Wand säumte. Vor der Wand genau gegenüber dem Eingang befand sich die Kochstelle, und dort stand die Frau und schürte das Feuer. Schließlich begab sie sich zum Tisch und ließ sich schwer auf einen der drei einfachen Stühle fallen. Mit einer kurzen Geste bedeutete sie Hugh und Lucan, sich ebenfalls zu setzen.
Nach kurzem Zögern nahm Hugh gegenüber der Frau Platz und saß mit dem Rücken zur Tür. Lucan setzte sich neben die Alte und behielt die Tür im Auge, falls irgendjemand hereinkommen sollte. Dann warteten sie geduldig, dass die Frau sie nach dem Grund ihres Kommens fragen würde, doch stattdessen griff sie nach dem Weinkrug in der Mitte des Tischs und füllte zwei Becher. Dabei schenkte sie Lucan keinerlei Beachtung, sondern schob Hugh den einen Becher hin und führte den anderen an ihre Lippen.
Da Hugh nicht recht wusste, wie er sich verhalten sollte, nahm er einen Schluck – und bereute es sogleich. Der Wein schmeckte bitter und hinterließ einen brennenden Geschmack auf der Zunge. Um sich seinen Ekel möglichst nicht anmerken zu lassen, setzte er den beinahe vollen Becher ab und stellte ihn auf die verwitterte Tischplatte. Dann schaute er wieder die Hexe an und erwartete nach wie vor, nach seinem Begehr oder zumindest nach seiner Herkunft gefragt zu werden. Doch das alte Weib beäugte ihn über den Rand seines Bechers und schwieg. Als das Schweigen schließlich unerträglich lang wurde, verkündete Hugh: „Ich bin Hugh Dulonget.“
„Der fünfte Earl of Hillcrest.“
Er erschrak, als die Alte ihm die Worte aus dem Mund nahm. „Ihr wisst, dass mein Onkel …?“
„Tot ist“, ergänzte sie. „Das Herz.“
„Wie bitte?“ Völlig verwirrt starrte er die unheimliche Gastgeberin an.
„Ich sagte, er ist tot. Das Herz machte nicht mehr mit“, wiederholte sie leicht ungehalten. „Ihr werdet seinen Titel und seine Besitztümer erben.“
„Ja. Ich bin sein Neffe und der einzige Erbe.“
„Der einzige, hm?“
Bei ihrem trockenen Tonfall rutschte er unruhig auf seinem Stuhl hin und her. „Nun … ja“, log er und wand sich unter ihrem allwissenden Blick. „Nein“, räumte er schließlich ein, „Onkel Richard hat ein Vermächtnis hinterlassen für …“
„Ein Vermächtnis?“ Sie schien durch ihn hindurchzusehen.
Verunsichert nahm Hugh den Weinbecher und tat trotz des bitteren Geschmacks ein paar kräftige Züge. Als der Becher leer war, stellte er ihn laut auf den Tisch und setzte eine finstere Miene auf. „Natürlich werdet Ihr weiterhin dafür entlohnt, dass Ihr Euch um sie gekümmert habt.“
„Um sie!“
„Ich spreche von dem Mädchen. Diese Willa, um die mein Onkel so besorgt war.“ Hugh machte sich nicht die Mühe, seinen Unmut zu verbergen.
„Lohn für ihre Pflege, hm?“
Hugh schluckte und spürte, dass sein Unbehagen wuchs. Dieser bohrende Blick aus den kobaltblauen Augen brachte ihn aus der Fassung. Beinahe glaubte er, die alte Vettel könne wahrhaftig bis auf den Grund seiner Seele schauen. Wenn sie dazu wirklich in der Lage war, würde sie manche Schwäche entdecken. Hugh bezweifelte, dass im Augenblick viele seiner guten Seiten zu sehen wären. Immerhin log er unverhohlen.
„Seid Ihr nicht der Ansicht, dass gut für sie gesorgt wird, sobald sie Euch heiratet?“
Hugh erstarrte. Er konnte genau spüren, wie der neu entfachte Zorn ihm das Blut ins Gesicht trieb. Derselbe Zorn hatte ihn erfasst, als der Advokat seines Onkels ihm diese unliebsame Nachricht eröffnet hatte. Er würde alles erben: den Grafentitel, das Vermögen, die Besitztümer samt Dienerschaft … wie auch die uneheliche Tochter seines Onkels, die er heiraten musste. Tatsächlich war ihm durch eine letztwillige Verfügung eine Gemahlin aufgezwungen worden. Sie war nicht mehr als ein Bastard aus dem Dorf, aufgewachsen bei einem alten
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