Wie Feuer im Regen
schleuderte.
„ Ich vergesse immer, dass du keine Engländerin bist, aber wenn du in dieser komischen Sprache vor dich hin murmelst, dann ist das echt unheimlich, weißt du?“
Anne ärgerte sich, ertappt worden zu sein. Es war wichtig, dass sie dazu gehörte, sich nicht von den anderen unterschied. Und Selbstgespräche auf deutsch ließen sie nicht besonders britisch erscheinen.
„Sieh mich nicht so entsetzt an“, lachte Caroline, „Ich mache doch nur Spaß!“
Die ersten vier Wochen im Internat hatte Anne kaum ein Wort gesprochen. Sie hatte nur zugehört und wie ein Schwamm alles in sich aufgesaugt, was ihre Mitmenschen von sich gaben. Jede Floskel, das Auf und Ab der Töne, die Stimmmelodie hatte sie sich eingeprägt, wie ein neues Musikstück. Und als sie schließlich angefangen hatte mit dem richtigen Akzent zu sprechen, der geschliffenen Ausdrucksweise der englischen Oberschicht, die sich anhörte wie ein Nagelclipper, hatten alle schnell vergessen, dass die neue Schülerin wochenlang gar nichts gesagt hatte und noch dazu aus dem Ausland kam – immerhin hörte sie sich so viel kultivierter an, als die unzähligen reichen Russen oder Araber, die sich im vornehmen englischen Internat Sozialprestige kauften.
„Was machst du eigentlich hier, mitten am Nachmittag? Alles ist voller Wasserdampf! Wie lange warst du unter der Dusche?“
„ Gefühlte drei Stunden“, Anne schlang ein frisches Handtuch um ihre nassen Haare, „Mir war kalt.“
„ Kein Wunder, bei diesem scheußlichen Wetter. Ich habe das Gefühl, als würde die Heizung in unseren alten Gemäuern nicht richtig funktionieren. Sie zog ein pfirsichfarbenes Lipgloss aus ihrer Kosmetiktasche und begann sich die Lippen zu schminken.
„ Nichts desto trotz ist heute Freitag und wir haben Ausgang – den wir bei jeder Witterung wahrnehmen! Kommst du mit ins Fox and Dagger? So in einer Stunde?“
Anne nickte. Das Fox and Dagger war der Pub im Dorf und wurde von Internatsschülern wie Einheimischen gleichermaßen geliebt.
Zurück in ihrem Zimmer, während sie sich die Haare föhnte, dachte Anne an ihren ersten Besuch in einem englischen Pub zurück.
Eigentlich hatten nur die Schüler der Oberstufe Ausgang - offiziell.
Doch inoffiziell gab es Mittel und Wege, sich aus dem Internat zu schleichen und in die etwas weiter entfernte Kleinstadt zu fahren, in der es mehrere Bars und Lokale gab und man als St. Margarets Schüler nicht ganz so sehr auffiel, wie im Fox and Dagger.
Der Anlass ihres damaligen Ausfluges war eigentlich ein pragmatischer gewesen.
Anne hatte vorgehabt, ihre Unschuld zu verlieren.
Damals war ihr Stipendium ausgelaufen und in einem persönlichen Gespräch hatte Poffy sie darüber informiert, welche Möglichkeit es für sie gäbe, weiter auf St. Margret zu bleiben, obwohl sie nicht einmal einen Bruchteil des Schulgeldes aufbringen konnte.
Nach anfänglicher Entrüstung hatte Anne schließlich eingesehen, dass das Leben keine Alternativen für sie bereithielt. Entweder sie würde Earl Breckon zu Willen sein, oder zurück in die Wiener Gosse gehen.
Mit ihrem Körper könnte sie sich ein besseres Leben kaufen. Sie war gerade sechzehn geworden. Jung, mit schlanken Hüften, langen Beinen und straffer Haut – genau so hatte Poffy es gerne.
Für ihre Unberührtheit hätte es sogar noch eine großzügige Extrazahlung gegeben, aber Anne war nicht bereit gewesen, diese letzte intime Bastion dem dicken alten Mann zu opfern.
In einem Anflug von verzweifelter Geistesgegenwärtigkeit hatte sie behauptet, sie wäre keine Jungfrau mehr. Die Enttäuschung hatte man ihm deutlich angemerkt, aber da Anne ein außergewöhnlich hübsches Mädchen war, hatte er darüber hinweggesehen, dann war sie eben nicht ganz so unverbraucht.
Einige Tage vor ihrer ersten Verabredung zum Stelldichein mit dem alten Earl war Anne deshalb heimlich nachts aus der Schule ausgerissen und in eine Bar in der Kleinstadt gefahren.
Eigens für diesen Abend hatte sie ein schwarzes Top gekauft, das so viel Dekolletee zeigte wie möglich, ohne billig zu wirken. Dazu trug sie Jeans und schwarze Pumps. In einer Frauenzeitschrift hatte sie gelesen, dass die Kombination aus knackigen Jeans und hohen Schuhen bei flirtwilligen Männern am liebsten gesehen wurde. Ebenso stand in dem Artikel, dass man die Haare unter allen Umständen offen tragen sollte, weshalb Annes dunkelblondes Haar in leichten Wellen über ihren Rücken fiel. Im schummrigen Licht ahnte niemand, dass sie erst
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