Wie funktioniert die Welt?
Verbreitungsgebiet konzentrieren sich in Regionen, in denen in der Regel nicht die größte Zahl von Arten lebt.
Das hört sich einfach nicht sinnvoll an. Wenn mehr Arten vorhanden sind, sollten darunter doch auch mehr Arten mit großem Verbreitungsgebiet, kleinem Verbreitungsgebiet und allen Zwischenstufen sein. Aber so ist es nicht. Arten mit kleinem Verbreitungsgebiet konzentrieren sich in einigen ganz besonderen Regionen. Etwa die Hälfte aller Arten lebt an ein paar Dutzend Orten, die zusammen rund zehn Prozent der eisfreien Teile unseres Planeten ausmachen.
Arten mit kleinem Verbreitungsgebiet sind innerhalb dieses Verbreitungsgebietes selten, solche mit großem Verbreitungsgebiet dagegen sind häufig.
Man verzeihe mir die Sprache, aber Mutter Natur ist ein Miststück. Man würde glauben, dass sie Arten mit kleinem Verbreitungsgebiet nachsichtiger behandelt und sie lokal häufiger vorkommen lässt. Das tut sie aber nicht. Weitverbreitete Arten sind meist überall häufig, lokale Arten dagegen sind selbst da, wo man sie findet, selten.
Zur Anregung für Darwin und Wallace wurde die Begegnung mit Regionen, in denen viele Vögel und Säugetiere lebten, die man sonst nirgendwo findet – mit den Galapagosinseln und den Inseln Südostasiens. In Europa gibt es solche Regionen nicht. Darwin hielt sich in Südamerika während des größten Teils der Reise auf der
HMS Beagle
zu weit südlich auf, Wallaces erste Reise dagegen führte in das Amazonasgebiet. Das Amazonasbecken ist besonders artenreich, aber es ist ein auffälliges Beispiel für die Gesetzmäßigkeit, dass in solchen Regionen kaum einmal viele Arten mit kleinem Verbreitungsgebiet leben. (Dies kam Wallace nach meiner Vermutung teuer zu stehen, denn seine Geldgeber wollten immer etwas Neues. Das aber fand er erst auf seiner nächsten Reise, die ihn nach Osten führte.)
Weitverbreitete Arten haben Wissenschaftler zuerst gefunden. Darwin und Wallace gehörten zu den ersten Naturforschern, die mit der Mehrzahl der Arten in Kontakt kamen – nämlich mit solchen, die ein kleines Verbreitungsgebiet haben und sich an wenigen Orten konzentrieren. Selbst wenn es um gut bekannte Artengruppen geht, wurden Arten mit kleinsten Verbreitungsgebieten erst in den letzten Jahrzehnten entdeckt.
Welche tiefgreifende, elegante, schöne Erklärung steht hinter diesen zweifellos zusammenhängenden Gesetzen? Es gibt keine.
Angesichts der beobachteten Größenverteilung der Verbreitungsgebiete müssen die Tropen einfach deshalb die Heimat von mehr Arten sein, weil sie an der dicksten Stelle der Erdkugel liegen. Um die Mitte müssen sich ausreichend große Verbreitungsgebiete ziehen – nur so passen sie hinein. An den Enden, den gemäßigten oder polaren Regionen – muss es sie nicht geben. In der Mitte gibt es aber selbst dann mehr Arten als an den Enden, wenn die Mitte nicht tropisch ist. In den Feuchtwäldern in der Mitte Madagaskars leben beispielsweise mehr Arten, obwohl das nördliche Ende der Insel (mit weniger Arten) näher am Äquator liegt.
Außerdem beherbergen warme, feuchte mittlere Regionen – die Feuchtwälder der Tropen – mehr Arten als heißere, trockene mittlere Regionen. Zwischen Artenreichtum auf der einen Seite und Wärme und Feuchtigkeit auf der anderen besteht ein überzeugender Zusammenhang, aber ein überzeugender Mechanismus ist manchmal eine Illusion.
Arten mit kleinem Verbreitungsgebiet könnte es überall geben – in der Mitte ebenso wie an den Enden. Es gibt sie aber nicht. Häufig findet man sie auf Inseln (Galapagos, Malaiischer Archipel) und auf »Habitatinseln« – Berggipfeln wie in den Anden. Dies passt zu unseren Vorstellungen über die Artenbildung. Leider leben solche Arten aber nicht auf den Inseln und Bergen der gemäßigten Klimazonen; deshalb mussten Darwin und Wallace weite Reisen unternehmen, um sich inspirieren zu lassen. Eine Ausnahme bilden die Salamander: Von ihnen gibt es in den Appalachen im Osten der Vereinigten Staaten offenbar unter jedem Stein eine andere Spezies; sie bilden in einer gemäßigten Klimazone ein Zentrum des Artenreichtums, das es theoretisch nicht geben dürfte und an das weder Vögel noch Säugetiere, Pflanzen oder auch andere Amphibien heranreichen.
Und was noch schlimmer ist: Bei alledem tun wir so, als wüssten wir, warum manche Arten ein großes und andere ein kleines Verbreitungsgebiet haben. In Wirklichkeit wissen wir es nicht. Kurz gesagt, kennen wir Korrelationen, Sonderfälle
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