Wie funktioniert die Welt?
und einige Widerlegungen, aber die Eleganz fehlt. Eine tiefgreifende Erklärung dafür muss es natürlich nicht geben.
Unser Unwissen tut weh. Gerade unter den konzentriert auftretenden lokalen, seltenen Arten sorgt der Mensch mit seinem Handeln für ein Artensterben, das hundert- bis tausendmal schneller abläuft als in der Natur. Ja, wir können Vögel und Säugetiere in Landkarten einzeichnen, und dann wissen wir, wo wir etwas zu ihrer Rettung unternehmen müssen. Das gilt aber nicht für die bei Menschen so beliebten Schmetterlinge, von Fadenwürmern ganz zu schweigen. Ohne Erklärungen können wir nicht sagen, ob wir an den Orten, an denen wir die Vögel schützen, auch etwas für den Schutz der Schmetterlinge tun. Solange wir die Gesetze von Mutter Natur nicht verstehen und auf die große Mehrzahl der Arten übertragen, die der Wissenschaft noch unbekannt sind, werden wir vielleicht nie erfahren, was wir zerstört haben.
Karl Sabbagh
Die Oklo-Pyramide
Schriftsteller und Fernsehproduzent; Autor von Remembering Our Childhood: How Memory Betrays Us
In der Wissenschaft werden neue Erklärungen gebraucht, wenn eine Beobachtung sich mit der bisherigen Theorie nicht mehr erklären lässt. Die Leistungsfähigkeit der naturwissenschaftlichen Methode liegt darin, dass aus den Versuchen, eine neue Erklärung zu entwickeln, außerordentlich reichhaltige neue Kenntnisse erwachsen können. Das Ganze ähnelt einer kopfstehenden Pyramide: Eine erste Beobachtung – häufig nur eine geringfügige Abweichung von der Norm – bildet die Spitze, und dann folgen immer größer werdende Schichten aus Schlussfolgerungen, die jeweils von den darunterliegenden Schichten abhängig sind; insgesamt liefert die Pyramide schließlich eine zufriedenstellende, schlüssige, umfassende Erklärung.
Eine meiner Lieblingserklärungen dieses Typs stammt aus dem Jahr 1972 . Damals beobachtete man in einem französischen Labor bei der Analyse einer ganz normalen Uranerzprobe aus Oklo, einer Region in der Provinz Haut-Ohooué des zentralafrikanischen Staates Gabun, eine kleine Anomalie. Natürlich vorkommendes Urangestein enthält normalerweise zwei Typen von Uranatomen: die Isotope U- 238 und U- 235 . Die meisten Atome sind U- 238 , ein Anteil von ungefähr 0 , 7 Prozent jedoch besteht aus U- 235 . Um genau zu sein, beträgt der Anteil 0 , 72 Prozent. In der Probe, die in Frankreich ankam, waren es aber »nur« 0 , 717 Prozent, das heißt, 0 , 003 Prozent der erwarteten U- 235 -Atome fehlten.
Solche Abweichungen der Isotopenanteile kannte man bis dahin nur aus der künstlichen Umgebung von Kernreaktoren, in denen das U- 235 mit Neutronen bombardiert wird; eine solche Kettenreaktion führt zur Umwandlung der Atome und damit zu einer Veränderung der natürlich vorkommenden Anteile. Die hier vorliegende Probe jedoch stammte aus einem Bergwerk in Gabun, und man hatte sie zu einer Zeit gewonnen, als es auf dem ganzen afrikanischen Kontinent noch keinen Kernreaktor gab. Dies konnte also nicht die Erklärung sein. Oder doch?
Fast 20 Jahre zuvor hatten Wissenschaftler die Vermutung geäußert, irgendwo auf der Erde könnten früher einmal Bedingungen geherrscht haben, unter denen eine Uranlagerstätte sich wie ein natürlicher Kernspaltungsreaktor verhielt. Dafür nannten sie drei notwendige Voraussetzungen:
Die Lagerstätte musste größer sein als die durchschnittliche Wanderungsstrecke der Neutronen, die eine Kernspaltung anregen; diese Strecke liegt bei ungefähr 70 Zentimetern.
U- 235 -Atome mussten in größerer Menge vorhanden sein als in heutigem natürlichem Gestein; statt bei 0 , 72 Prozent musste ihr Anteil bei 3 Prozent liegen.
Es musste einen Moderator geben, wie man es in Kernreaktoren nennt, das heißt eine Substanz, welche die ausgesandten Elektronen »abschirmt« und verlangsamt, so dass sie die Kernspaltung besser in Gang setzen können.
Genau diese drei Voraussetzungen waren in den Lagerstätten von Oklo vor 2 Milliarden Jahren gegeben. Die Lagerstätten waren viel größer als die vorausgesagte Mindestgröße. Außerdem hat Uran- 235 eine Halbwertszeit von 704 Millionen Jahren, das heißt, es zerfällt ungefähr sechsmal so schnell wie U- 238 ; vor mehreren Halbwertszeiten (vor rund 2 Milliarden Jahren) enthielten die Lagerstätten also viel mehr U- 235 – genug, damit eine Kettenreaktion in Gang kommen konnte. Extrapoliert man in die Vergangenheit, so lagen die Anteile der beiden Isotope nicht wie
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