Wie funktioniert die Welt?
Repräsentation von Wert und dann die Entkoppelung von dem, was einen Wert besitzt.
Diese letzte Entkoppelung ist aber die wichtige – und in vielerlei Hinsicht die traurige. Sie kennzeichnet den Augenblick, in dem wir vergessen, woher die Dinge kommen – wir vergessen, was sie repräsentieren. Die Simulation wird als Realität präsentiert. Die erfundene Landschaft wird naturalisiert und dann fälschlich für Natur gehalten.
An dieser Stelle werden wir besonders anfällig für Illusionen, Missbrauch und Phantasie. Da wir in einer Welt der erschaffenen Symbole und Simulationen leben, hat jeder, der die Kontrolle über die Landkarte hat, auch die Kontrolle über unsere Realität.
Philip Zimbardo
Die Theorie der zeitlichen Perspektiven
Emeritierter Professor für Psychologie, Stanford University; Autor von Der Luzifer-Effekt: Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen
Ich bin hier, um Ihnen etwas Wichtiges zu sagen: Den stärksten Einfluss auf alle unsere Entscheidungen, der im Hinblick auf die Handlungen beträchtliche Folgen haben kann, nehmen die meisten Menschen überhaupt nicht wahr; dabei ist er das offenkundigste psychologische Konzept, das man sich überhaupt vorstellen kann.
Ich meine damit unser psychisches Zeitgefühl – oder genauer gesagt, die Frage, wie unsere Entscheidungen durch einen zeitlichen Rahmen geprägt werden, den wir zu bevorzugen gelernt haben und häufig übermäßig stark ausnutzen. Wir alle leben in mehreren Zeitzonen, die uns im Kindesalter beigebracht und durch Erziehung, Kultur, soziale Schicht und Erfahrungen mit der Stabilität oder Instabilität der wirtschaftlichen Lage oder der Familie geprägt wurden. Die meisten Menschen entwickeln eine einseitige zeitliche Orientierung, die einen Zeitrahmen gegenüber anderen bevorzugt und sich übermäßig stark auf Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft richtet.
Wenn es also an der Zeit ist, kleinere oder größere Entscheidungen zu treffen, stehen manche Menschen ausschließlich unter dem Einfluss von Faktoren, die in der unmittelbaren Situation wurzeln: Sie richten sich danach, was andere tun, sagen, verlangen und was der eigene biologische Drang ihnen befiehlt. Andere stehen vor der gleichen Entscheidung, ignorieren aber alle diese Faktoren aus der Gegenwart und konzentrieren sich stattdessen auf die Vergangenheit: auf die Ähnlichkeiten zwischen dem derzeitigen und früheren Umfeld, auf Erinnerungen daran, was getan wurde und welche Wirkungen es hatte. Eine dritte Kategorie von Entscheidungsträgern ignoriert Gegenwart und Vergangenheit, um sich vor allem auf die zukünftigen Folgen der gegenwärtigen Handlungen zu konzentrieren – sie stellen eine Kosten-Nutzen-Rechnung an.
Noch komplizierter wird die Angelegenheit, weil es in jeder dieser primären zeitlichen Orientierungen wiederum Untergruppen gibt. Manche an der Vergangenheit orientierten Menschen konzentrieren sich auf die negativen Seiten ihrer früheren Erfahrungen (Reue, Versagen, Missbrauch, Trauma), andere betrachten die Vergangenheit vorwiegend positiv – dann stehen die gute alte Zeit, Nostalgie, Dankbarkeit und Erfolge im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Auch an der Gegenwart kann man sich auf zweierlei Weise orientieren: Man kann in einem gegenwärtig-hedonistischen Bereich leben – dann strebt man nach Freude, Neuigkeiten und Sensationen – oder man ist gegenwärtig-fatalistisch und glaubt, nichts, was man tut, könne die Zukunft verändern. Zukunftsorientierte Menschen setzen sich Ziele, planen Strategien und sind häufig erfolgreich; eine andere Form der Zukunftsorientiertheit richtet sich auf die transzendente Zukunft – das Leben beginnt erst nach dem Tod des irdischen Körpers.
Mein Interesse an der Theorie der zeitlichen Perspektiven war für mich eine Anregung, ein Verzeichnis zu erstellen und so genau herauszufinden, in welchem Umfang wir in jede dieser sechs zeitlichen Orientierungen passen. Das Zimbardo Time Perspective Inventory oder ZTPI setzt die Einstufung in diesen zeitlichen Dimensionen in Beziehung zu einer Vielzahl anderer psychologischer Merkmale und Verhaltensweisen. Wir konnten nachweisen, dass die zeitliche Perspektive wichtige Auswirkungen auf einen großen Bereich des menschlichen Wesens hat. Manche der dabei nachgewiesenen Beziehungen zeigen einen Korrelationskoeffizienten, der viel größer ist als in jeder traditionellen Persönlichkeitsbeurteilung. Die Zukunftsorientierung beispielsweise steht in einer
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