Wie funktioniert die Welt?
Fälle nicht unter den Teppich der Forschung kehren. Stattdessen sollten wir eine berühmte Äußerung der Anthropologin Margaret Mead im Kopf behalten: »Zweifle niemals daran, dass eine kleine Gruppe nachdenklicher, engagierter Bürger die Welt verändern kann; tatsächlich sind es die Einzigen, die das je getan haben.«
Andrian Kreye
Subjektive Umwelt
Feuilletonredakteur, Süddeutsche Zeitung, München
Erklärungen sind häufig dann am elegantesten, wenn Wissenschaft aus den Windungen der Philosophie die Tatsachen herausdestilliert. Ich stieß auf der Suche nach Erklärungen für eine Beobachtung auf die Theorie von Umwelt und Umfeld des estnischen Biologen und Gründervaters der Biosemiotik Jakob von Uexküll.
Umwelt
ist nach seiner Definition die subjektive Umgebung, wie ein Lebewesen sie wahrnimmt und entsprechend handelt,
Umfeld
dagegen ist die objektive Umgebung, die alle in ihr vorhandenen Lebewesen umfasst und auf sie wirkt.
Meine Beobachtung betraf den Hauptunterschied zwischen meiner europäischen Heimat und Amerika, dem Kontinent, den ich einige Jahrzehnte lang als Wohnort gewählt hatte. In Europa wird die Gegenwart als Endpunkt der Geschichte wahrgenommen. In Amerika ist die Gegenwart der Anfang der Zukunft. Philosophie oder Geschichtsforschung, so hoffte ich, würden für einen so grundsätzlichen und doch einfachen Unterschied eine Erklärung bereithalten. Beide liefern natürlich Teilerklärungen. Immerhin haben sowohl die Ideengeschichte als auch die Geschichte der Länder allein in den letzten 200 Jahren einen erstaunlich unterschiedlichen Verlauf genommen.
Mit seiner Definition der subjektiven Umwelt, die Uexküll 1909 in seinem Buch
Umwelt und Innenwelt der Tiere
in der Sprache seines deutschen Exils veröffentlichte, stellte er Philosophie und Geschichtsforschung in einen Rahmen und Zusammenhang. Da er Theorien misstraute, war ihm daran gelegen, dass Ideen in der Natur Bestand haben; entsprechend stellte er seine Vorstellung von der subjektiven Umwelt im Indischen Ozean, im Atlantik und im Mittelmeer auf den Prüfstand. Er beobachtete einfache Lebewesen wie Seeanemonen, Seeigel und Krebstiere, das berühmte Beispiel, mit dem er seine Theorie verdeutlichte, war aber die Zecke. Mit ihr hatte er ein Tier gefunden, dessen Wahrnehmung und Tätigkeit sich mit drei Parametern definieren ließen. Zecken nehmen ihre Umgebung in Form von Oben und Unten, Wärme und Kälte sowie die Gegenwart oder Abwesenheit von Buttersäure wahr. Die Tätigkeiten, mit denen sie überleben und sich fortpflanzen, sind Kriechen, Warten und Festhalten.
Anhand dieses Modells konnte er nicht nur die Umwelt, sondern auch die Zeit als subjektiven Begriff definieren. Nach seinen Feststellungen ist die Zeitwahrnehmung eines Lebewesens ebenso subjektiv wie seine Wahrnehmung des Raumes; definiert wird sie durch die Wahrnehmungen und Tätigkeiten, welche die subjektive Umwelt des Organismus schaffen.
Wenn die subjektive Zeit durch die Erfahrungen und Tätigkeiten eines Lebewesens definiert ist, werden Philosophie und Geschichtsforschung im Zusammenhang der Geschichte eines Kontinents mit ihren unzähligen Parametern zu bloßen Faktoren in einer komplexen Umwelt der kollektiven Wahrnehmung. Damit hatte ich eine elegante Erklärung für eine recht einfache Beobachtung. Noch eleganter wird sie durch die Feststellung, dass Faktoren wie Geographie, Klima, Nahrung und Kultur im Zusammenhang der Evolution eines Kontinents in die Wahrnehmung sowohl der subjektiven Umwelt als auch der subjektiven Zeit einfließen und es unmöglich machen, die Erklärung wissenschaftlich zu beweisen oder zu widerlegen. Da die Philosophie dabei nur zu einem von vielen Parametern gemacht wurde, reduziert sie ihre Bemühungen, Jakob von Uexkülls Definition der subjektiven Umwelt in Misskredit zu bringen, zu bloßen Windungen.
Raphael Bousso
Meine lästigste elegante Lieblingserklärung: Die Quantentheorie
Professor für theoretische Physik, University of California in Berkeley
Meine eleganten Lieblingserklärungen wurden sicher bereits von anderen aufgegriffen, die ihre Hausarbeiten frühzeitig eingereicht haben. Obwohl ich theoretischer Physiker bin, hätte meine Wahl leicht auf Darwin fallen können. Meinem Fachgebiet näher ist die allgemeine Relativitätstheorie: Einsteins Erkenntnis, dass der freie Fall eine Eigenschaft der Raumzeit selbst ist, womit er sofort ein großes Rätsel löste (nämlich die Frage, warum Gravitation auf alle Körper
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