Wie funktioniert die Welt?
beispielsweise weil sie beide strahlen.
Dagegen geben George Lakoff und Mark Johnson in ihrem 1980 erschienenen Buch
Leben in Metaphern
für die metaphorische Sprache eine Erklärung, die sich über diese hergebrachte Weisheit hinwegsetzt. Ihr Gedanke: Wenn eine Metapher nur ein freischwebendes sprachliches Hilfsmittel ist, das auf Ähnlichkeiten basiert, sollte man alles im Hinblick auf alles andere, dem es ähnlich ist, beschreiben können. Wie Lakoff und Johnson aber beobachten, ist metaphorische Sprache so, wie sie in Wirklichkeit gebraucht wird, alles andere als zufällig. Sie ist vielmehr systematisch und stimmig.
Systematisch ist sie, weil man nicht alles metaphorisch als alles andere bezeichnet. Vorwiegend werden vielmehr abstrakte Dinge in Begriffen konkreter Objekte beschrieben. Moral ist abstrakter als Reinlichkeit. Verstehen ist abstrakter als Sehen. Außerdem kann man die Metapher nicht umkehren. Man kann zwar sagen »er ist sauber«, wenn jemand keine Vorstrafen hat, aber man kann nicht sagen »er ist moralisch« und damit meinen, er habe kurz zuvor gebadet. Metaphern funktionieren nur in einer Richtung.
Darüber hinaus sind metaphorische Ausdrücke untereinander stimmig. Betrachten wir noch einmal das Beispiel von verstehen und Sehen. Es gibt zahlreiche einschlägige metaphorische Ausdrücke: beispielsweise »ich habe den Durchblick« oder »bringen wir einmal Licht in die Sache« oder »nehmen wir diese Idee einmal unter die Lupe und sehen wir, ob sie tatsächlich sinnvoll ist«. Und so weiter. Es handelt sich dabei zwar um ganz unterschiedliche metaphorische Ausdrücke – sie bedienen sich völlig verschiedener Worte –, alle betrachten aber bestimmte Aspekte des Verstehens in Begriffen bestimmter Aspekte des Sehens. Immer bezeichnen wir den, der versteht, als Sehenden, den Akt des Verstehens als Sehen, die Verständlichkeit der Idee als Sichtbarkeit des Objekts und so weiter. Mit anderen Worten: Die Aspekte des Sehens, mit denen wir über Aspekte des Verstehens sprechen, stehen untereinander in einem festen Zusammenhang.
Solche Beobachtungen veranlassten Lakoff und Johnson zu der Vermutung, es müsse mit der Metapher eine Bewandtnis haben, die tiefer geht als nur die Worte. Nach ihrer Ansicht sind metaphorische Ausdrücke in der Sprache eigentlich nur oberflächliche Phänomene, die durch »Landkarten« im Geist der Menschen organisiert und erzeugt werden. Dass es metaphorische Sprache gibt und sie sowohl systematisch als auch stimmig ist, liegt nach ihrer Ansicht daran, dass die Menschen metaphorisch denken. Wir sprechen nicht nur vom Verstehen als Sehen; Verstehen ist auch in unseren Gedanken ein Akt des Sehens. Wir sprechen nicht nur über Moral als Reinlichkeit, sondern wir stellen uns Moral auch als Reinlichkeit vor. Und da wir metaphorisch denken – da wir systematisch bestimmte Begriffe in unserem Geist zusammen mit anderen kartieren –, sprechen wir in Metaphern. Die metaphorischen Ausdrücke sind nur (sozusagen) die Spitze des Eisbergs.
Diese Erklärung erfüllt alle Anforderungen. Sie ist elegant, denn sie erklärt verworrene, komplizierte Phänomene mit etwas viel Einfacherem – einer strukturierten Kartierung zwischen zwei begrifflichen Bereichen des Geistes. Sie ist leistungsfähig, denn sie erklärt über die metaphorische Sprache hinaus auch andere Dinge: Wie wir aus neueren kognitionspsychologischen Arbeiten wissen, denken die Menschen selbst dann metaphorisch, wenn eine metaphorische Sprache fehlt (Zuneigung als Wärme, Moralität als Reinlichkeit). Die Erklärung mit begrifflichen Metaphern lässt darauf schließen, dass wir abstrakte Begriffe wie Zuneigung oder Moral verstehen, indem wir sie metaphorisch auf einer Landkarte konkreterer Begriffe eintragen. Was die Nützlichkeit angeht, so gab die Erklärung mit begrifflichen Metaphern den Anlass zu umfangreichen Forschungsarbeiten auf verschiedenen Fachgebieten; Linguisten haben den Reichtum der metaphorischen Sprache dokumentiert und ihre Vielfalt auf der ganzen Welt untersucht, Psychologen haben ihre Voraussagen am Verhalten von Menschen überprüft, und Neurowissenschaftler haben im Gehirn nach den physischen Grundlagen gesucht. Und schließlich stellt die Erklärung mit begrifflichen Metaphern eine Umwälzung dar – sie gibt die allgemein anerkannte Ansicht auf, eine Metapher sei nur ein auf Ähnlichkeit basierendes sprachliches Hilfsmittel. Sie hat dazu geführt, dass wir ganz plötzlich eine mehr als 2000
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