Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
Führungsoffizier erhielten am Tag, an dem Eigendorf starb, Prämien von 500 bzw. 1000 Mark.
Warum ich eigentlich über längst bekannte Hinrichtungen in Leipzig schreiben wollte und darüber was die damals praktizierte Todesstrafe mit der heutigen Lage der Nation oder dem aktuellen Zustand der Einheit zu tun habe und ob in demokratischen Staaten wie zum Beispiel den USA nicht auch Kindsmörder und Vergewaltiger und Landesverräter zum Tode verurteilt und hingerichtet würden und ob der CIA nicht auch, wie man weiß, in Mordanschläge und Attentate verwickelt gewesen sei – all das fragte mich einer von denen, die mal zu den staatstragenden höheren Funktionären gehörten, und wies mich vorwurfsvoll darauf hin, immerhin sei bei ihnen die Todesstrafe seit 1981 nicht mehr vollstreckt und 1987 schließlich ganz abgeschafft worden.
Offenbar erwartete er, dass ich ihn dafür lobte.
Die einfache Antwort, dass in dem Deutschland, aus dem ich komme, die Todesstrafe bereits 1949 mit Gründung der Bundesrepublik von den Vätern des Grundgesetzes, unter denen sich keineswegs nur aufrechte Widerstandskämpfer gegen Hitler befanden, liquidiert worden war, um sich vom untergegangenen Mörderregime abzugrenzen, war mir aber zu simpel. Zumal es Hinweise gibt, wonach zwei Juristen in der Verfassunggebenden Versammlung deshalb für die endgültige Streichung der Todesstrafe votierten, um möglicherweise von ihr bedrohte alte Nazi-Kameraden zu schützen.
Insgesamt wurden in verschiedenen Städten der DDR, bevor
dann nur noch in Leipzig das Beil fiel oder ein Schuss, 211 Menschen hingerichtet – 89 NS-Verbrecher, 70 Schwerkriminelle, 52 Menschen wegen sogenannter politischer Delikte. Darunter war auch ein Fall wie der eines Eisenbahners, der eine Weiche falsch gestellt und durch den dadurch verursachten Unfall eines Güterzugs der Volkswirtschaft schweren Schaden zugefügt hatte.
Es geht nicht einmal um eine moralische Haltung, grundsätzlich und überall gegen Todesstrafe zu sein. Es geht um Schuld der einst Mächtigen, denen allenfalls vielleicht dann zu verzeihen gewesen wäre, falls sie jemals wenigstens Zeichen von Reue für ihre Taten gezeigt hätten. Richtig, in der Bundesrepublik ist kein Nazirichter verurteilt, im Namen des Volkes kein einziger Nazistaatsanwalt angeklagt worden, aber diese Schande entschuldigt noch lange nicht, was in der DDR im Namen des Gesetzes verbrochen wurde. Richtig, die deutschen Diktaturen gleichzusetzen ist unzulässig. Man kann es nicht oft genug wiederholen, um sich von schrecklichen Vereinfachern im Westen und schrecklichen Schönrednern im Osten abzusetzen. Die eine Diktatur steht für Auschwitz, die andere für die Mauer. Die Nazis brauchten keine geheimen Inoffiziellen Mitarbeiter, weil dasVolk zu eher 95 als zu 90 Prozent hinter ihnen und Hitler stand und die für eine Diktatur typischen Denunziationen von Systemkritikern und Andersdenkenden selbst besorgten. In der DDR brauchten die führenden Greise schon deshalb ein staatlich finanziertes Heer von hauptamtlichen und nebenberuflichen Spitzeln, um die Kontrolle übers Volk zu behalten, das ja via Westfernsehen stets das deutsche Gegenmodell Bundesrepublik vor Augen hatte, also ein alternatives Leben.
Doch bei den Aufräumarbeiten nach der Revolution 1989 kamen die Täter der zweiten Diktatur auf deutschem Boden ähnlich ungeschoren davon wie nach der Befreiung 1945 die der ersten. Seit 1990 ist in mehr als 20 000 Fällen gegen DDR-Schergen ermittelt worden, doch übrig blieben nach den nun mal für alle geltenden Gesetzen des Rechtsstaates nur rund tausend Strafverfahren, weniger als dreihundert Verurteilungen und am Ende nicht mal fünfzig Haftstrafen.
Viele Hinrichtungen in der DDR wegen angeblicher Wirtschaftsspionage oder vage »Verbrechen gegen den Staat« genannter Delikte waren nichts anderes als staatlich sanktionierter Mord. In vielen Fällen ist die Anklage, die nach kurzem Prozess zum Todesurteil führte, manipuliert worden, und dieses stand bereits vor Prozessbeginn fest. Bevor es jedoch vollstreckt wurde, musste in aller Regel der Vorsitzende des Staatsrates der DDR informiert und um sein Einverständnis ersucht werden. Beispielsweise per Hausmitteilung des Politbüro-Mitglieds Friedrich Ebert, gleichnamiger Sohn des einstigen sozialdemokratischen deutschen Reichspräsidenten: »Werter Genosse Honecker! Ich bitte um Kenntnisnahme und um Rückäußerung zu der Absicht, der Staatsanwaltschaft die Höchststrafe
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