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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Gardinen, Stühlen ohne Lehne, resopalbedeckten Tischen, begann schon mit dem ersten Verhör die psychische Zerstörung der Menschen, die ins Visier der Stasi geraten waren. Es waren viele, und die Opfer leiden noch heute unter der damaligen Tortur. Sie konnten nach 1989 zwar offen darüber reden, weil ihre Peiniger nichts mehr zu melden hatten, durften sich verbal befreien, aber das reichte bei zu vielen eben doch nicht aus. Für die eigentlich nötige Behandlung ihrer seelischen Wunden gab es nicht genügend Therapeuten.
    Bei einem Symposium der Charité in Berlin zum Thema »Politische Repressionen in der DDR und ihre psychischen Folgen« wurde die Zahl derer, die zwischen 1945 und 1989, zunächst in der Sowjetischen Besatzungszone, dann in der Deutschen Demokratischen Republik, aus politischen Gründen inhaftiert waren, auf »etwa 300 000 Personen« geschätzt. Auch das bezweifeln viele der Täter und protestieren unverfroren sogar dagegen, dass bei Führungen durch ihre einstigen Zwingburgen – zum Beispiel im inzwischen abgewickelten berüchtigten Zuchthaus Bautzen oder im mittlerweile als Gedenkstätte genutzten Gefängnis Hohenschönhausen – ehemalige Häftlinge schildern, wie es ihnen dort erging. Der letzte Direktor der Stasi-Strafanstalt in Berlin, gelernter Klempner und nach einem Fernstudium an der Juristischen Hochschule des MfS in Potsdam vom System zu Höherem berufen, bezeichnete sie als »sogenannte Museumsführer, die immer wieder sich als Opfer darstellen«, während sie, die ehemaligen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, »als Täter deklariert werden«.
    Diktatur und Widerstand sind in ihren Strukturen größtenteils erforscht. Es gibt zwar bis heute kein Buch eines ehemaligen IM, in dem konkret beschrieben wird, was er und seine Stasi-Kameraden alles unternommen haben, um das Leben der anderen zu zerstören, aber die Erinnerungen derer, die den Psychoterror überlebten oder nach der Revolution selbst deutsch-deutsche Geschichte geschrieben haben, sind in Hunderten von Büchern nachzulesen.
    Wie der deutsche Alltag aussah diesseits der großen Politik, die in Bonn und Ostberlin beschlossen wurde, vom Politbüro zumindest bis Ende 1988 nicht ohne Zustimmung des ZK in Moskau, von der Bundesregierung zumindest nicht ohne Information des Verbündeten in Washington, wie es zur Zeitenwende kam und was danach geschah, muss für Nachgeborene, Ost wie West, aber nicht nur nachlesbar, sondern erlebbar, sichtbar, greifbar sein. Begreifbare Geschichte überlebt in Gedenkstätten, viele davon ohne staatliche Zuschüsse aufgebaut und unterhalten von früheren Opfern, überlebt in Bildern, Filmen und Tonaufnahmen, in Dokumenten, Fotos und Objekten, wie sie in der Dauerausstellung »Teilung, Einheit, Diktatur und Widerstand« im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig auf einem mehr als einen Kilometer langen Rundgang durchs Haus präsentiert werden:
    Propagandaplakate der Christdemokraten, auf denen alle Wege des Sozialismus direkt in den Schlund des roten Moskauer Monsters führen; oder solche der Einheitssozialisten mit der Aufforderung: »Werktätige Frauen, auf Eure Mitarbeit kommt es an.Tretet noch heute ein in den FDGB«, den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, der wie jede Massenorganisation der DDR alles andere als frei war; Büsten vom ach so gütig blickenden Opa der ostdeutschen Nation, Wilhelm Pieck, sein Arbeitszimmer und der Tisch, an dem in den fünfziger Jahren das Politbüro tagte; das Mobiliar eines westdeutschen Notaufnahmelagers; ein echter Trabi und Fahnen und Losungen der SED oder das Modell eines als sowjetische Militärmaschine täuschend echt bemalten Leichtflugzeugs, mit dem zwei Brüder aus Westberlin über die Mauer flogen, ihren Bruder aus Ostberlin rausholten und sicher wieder im Westen vor der Ruine des Reichstags landeten; Stacheldraht, Panzersperren und Wackersteine vom »antifaschistischen Schutzwall« oder Einweckgläser, in denen die Stasi Geruchsproben oppositioneller Bürger aufbewahrte, auf dass ihre Hunde sie nötigenfalls würden erschnüffeln können.
    Und immer wieder dazwischen, als das System erst wankte und dann kampflos unterging, weil es auf alles vorbereitet war,
nur eben nicht auf gewaltlosen Widerstand mit Kerzen und Gebeten, die unsterblich schönen Zeugnisse demokratischer Fantasie, die spontanen Gedichte auf Papptafeln und Tüchern, bei den Demonstrationen des Volkes getragen, um denen da oben ihren Hochmut zu nehmen und sich da unten Mut zu

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