Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
machen. Einer meiner Lieblingssprüche lautet: »Jetzt Demokratie: Cottbusser mit mehr Energie«. Im Haus der geteilten und seit 1990 wieder gemeinsamen deutschen Geschichte, einem lebendigen historischen Museum der Deutschen, hatte ich vor Wochen einen langen Tag verbracht.
Jetzt stehe ich draußen vor dem Tor in der Arndtstraße, zehn Minuten Taxifahrt vom touristischen Leben und der ausgestellten Zeitgeschichte in der Leipziger Innenstadt entfernt. Weil ich weiß, was mich erwartet, hole ich noch einmal tief Luft, bevor ich mich durchs Tor wage.
Bis 2002 waren unter diesen deutschen Dächern Justiz und Haftanstalt untergebracht, im Hof drehten die Häftlinge ihre Runden. Gefängnisse wirken immer bedrohlich, aber die brauchten beide deutsche Staaten. Gewöhnliche Kriminelle, die erwischt und verurteilt und eingesperrt werden, gibt es in jedem Land, in jedem System. Doch wer damals statt geradeaus über den Hof in die Haftanstalt rechts durch die schmale Tür geführt wurde, der hatte nur noch wenige Stunden zu leben, und das macht den Unterschied zwischen Recht und Willkür aus.
Hier in der zentralen Hinrichtungsstätte der DDR wurden bis 1981 im Namen des Volkes, das allerdings davon nichts wusste, 64 Todesurteile vollstreckt.Anfangs ab 1960 per Guillotine, ab 1968 mit einem »unerwarteten Nahschuss« in den Hinterkopf. Die Delinquenten sind post mortem sofort abtransportiert und im Krematorium des Leipziger Südfriedhofs eingeäschert worden, manche wurden in herumliegendem Bauschutt entsorgt, die meisten anonym als vorgebliche »Anatomieleichen« bestattet.
Ihre Angehörigen bekamen nicht einmal die Urnen mit der Asche, um sie am Ort ihrer Wahl begraben zu können. Weil laut Dienstanweisung der amtierenden Minister oder der Chefs der
Deutschen Volkspolizei alles unter strengster Geheimhaltung geschehen musste, wurden die Sterbeurkunden in Stendal ausgestellt, als Todesursache meist Herzversagen angegeben. Die perfide Methode, die wahren Umstände vor den Familien der Opfer zu verschleiern, war keine originäre Idee der SED. Schon die Schreibtischtäter der Nazis hatten es so praktiziert, früh in den Konzentrationslagern, dann im Rahmen ihres staatlichen Mordprogramms Euthanasie.
Unter sich machten die Verantwortlichen der DDR jedoch kein Hehl aus ihren eigentlichen Motiven: »Wir sind aufgrund unserer Weltanschauung und der führenden Rolle der Partei ein starkes Kollektiv, welches jeden Fehler gerecht beurteilen, jedem Mitarbeiter helfen und ihn erziehen kann, um seine oftmals komplizierten und schwierigen Aufgaben im Kampf gegen die Feinde unserer Republik in Ehren erfüllen zu können. Es gibt aber keine Nachsicht mit Verrätern an der Sache des Friedens und des Sozialismus. Jeder Verräter – ganz gleich, wo er sich auch befinden möge – wird seiner gerechten Strafe nicht entgehen«, instruierte per Befehl 357/60 Erich Mielke seine Untergebenen. Er ordnete an, dass die just erfolgte Hinrichtung eines ehemaligen Oberleutnants der Grenzpolizei, der vor dem Mauerbau mit seiner Familie in den Westen geflüchtet war, aber bei einer heimlichen Rückkehr, angeblich um »Verbrechen gegen die DDR zu organisieren«, festgenommen und zum Tode verurteilt wurde, allen Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit bekannt zu geben sei.Wohlgemerkt: allen.
Ganz gleich, wo sich ein Verräter befinden möge? Dass die Stasi-Krake ihre Greifer auch über die Grenze geschickt hatte, das wusste man. Aber hatten Spezialkommandos tatsächlich auch den Auftrag zu morden? Der Fußballspieler Lutz Eigendorf, Star des privilegierten und von allen anderen Fans in der DDR gehassten Erich-Mielke-Lieblingsclubs Berliner FC Dynamo, der nicht nur wegen seiner Spielstärke regelmäßig DDR-Meister wurde, hatte sich nach einem Freundschaftsspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern von seiner Mannschaft abgesetzt und war im Westen
geblieben. Spielte zunächst beim 1. FC Kaiserslautern, dem Verein der »Roten Teufel« – das Rot ihrer Trikots war ein ganz anderes als das Rot, dem er entflohen war -, und wechselte dann zu Eintracht Braunschweig. Am 5. März 1983 raste er auf regennasser Straße mit seinem Alfa gegen einen Baum, zwei Tage später erlag Eigendorf seinen schweren Verletzungen. Es gibt keine Beweise dafür, dass die Stasi ihre schmutzigen Finger im Spiel hatte. Nur Hinweise, dass es so gewesen sein könnte. Denn sowohl ein IM, der den Spieler im Westen als angeblicher Freund aushorchte, als auch dessen
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