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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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(Todesstrafe) in dem bevorstehenden Prozeß zu empfehlen. Mit sozialistischem Gruß. Ebert.« Honecker strich das Wort »empfehlen« durch, verbesserte es handschriftlich in »beantragen« und schrieb an den Rand sein »Einverstanden, Honecker«.
    Ein ehemaliger DDR-Militärstaatsanwalt vertrat 1997, im siebzehnten Jahr der deutschen Einheit, in seiner Verteidigungsrede die Meinung aller gleichgesinnten Juristen, als er, angeklagt wegen Anstiftung zum Töten, vor Gericht verkündete, der von ihm im Jargon des unverbesserlichen Klassenkämpfers selbstverständlich BRD genannten Bundesrepublik fehle es an »Befugnis, über das Recht der DDR zu urteilen«. Unverbesserlich, aber kein Einzelfall. Typen wie ihn gibt es heute noch zuhauf. Deshalb will ich mir die alten Männer im roten Netzwerk Ost, Angehörige des ehemaligen Mielke-Ministeriums und der bewaffneten Organe, die sogar eine blutige Vergangenheit wie die hinterm finsteren Tor in Leipzig verteidigen, sobald sie lautstark ihre eigene dunkle verklären, genauer anschauen.
    Zwar hält Richard Schröder die Stasi-Vereine ISOR und GRH für Fossile des ehemaligen Systems, für inzwischen zahnlose Hyänen, meist über siebzig, kein ideologischer Nachwuchs in Sichtweite, und »wenn man sieht, wie die Öffentlichkeit auf sie reagiert, nämlich gar nicht, können die sich eigentlich kaum ermutigt
fühlen«. Aber da sie wehklagend oder empört ihre ihnen angeblich versagten Rechte einfordern und sich frühere Täter der DDR zu heutigen Opfern umlügen, gehören sie ebenso in eine Bilanz der Einheit wie die anderen Ewiggestrigen, die in Ost und West rechts außen herumpöbeln.
    Tobias Hollitzer, der mir das Tor zur Schreckenskammer geöffnet hatte, die nur an wenigen Tagen der Öffentlichkeit zugänglich ist, war schon zu DDR-Zeiten ein Überzeugungstäter, ein überzeugter Pazifist. Er fühlte sich bestärkt als Mitglied der evangelischen Jungen Gemeinde, die in jeder Stadt, in jedem Bezirk in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Keimzelle des langsam wachsenden Widerstands war, hatte sowohl den Eintritt in die FDJ abgelehnt als auch eine paramilitärische Ausbildung verweigert. Daraufhin musste er, wie es in solchen Fällen üblich war, vor dem Abitur die Schule verlassen. Er begann als Zwanzigjähriger stattdessen eine Lehre als Möbeltischler, machte dieses Handwerk zu seinem Beruf und konnte davon einigerma ßen leben.
    Im Glauben fest verankert und in der Familie erzogen zum »passiven Nichtmitmachen«, engagierte er sich weiterhin in »Dritte-Welt-Gruppen« und half im Frühjahr 1989 bei der Organisation des Leipziger Pleißepilgerwegs, wodurch das Verbot einer Demonstration am Tag der Umwelt listig umgangen wurde: Die Teilnehmer pilgerten friedlich die Pleiße entlang. Das hinderte Vopos nicht daran, Pilger zu kontrollieren, und bei denen, die sich mit Verweis auf ihre laut Verfassung garantierten Grundrechte weigerten, ihre Ausweise zu zeigen, Zuführungen anzuordnen. Auch bei Hollitzer. Den Strafbefehl über 300 Mark hat er allerdings schlichtweg ignoriert. Passiert ist ihm dennoch nichts.
    Selbstverständlich war er bei den Demonstrationen des Herbstes 1989 dabei, die bekanntlich Leipzig den Ruf einer Heldenstadt einbrachten. Er arbeitete nach dem Umbruch in der Außenstelle der Gauck-Behörde, ist heute ehrenamtlicher Geschäftsführer des Bürgerkomitees, das die Gedenkstätte im »Runden Eck« betreibt, wo vierzig Jahre lang die Bezirksverwaltung des Ministeriums
für Staatssicherheit amtierte und sogar einen eigenen Kinosaal für ihre Lauscher unterhielt, bis das Gebäude während der Montagsdemo am 4. Dezember von Leipziger Bürgern gestürmt und besetzt wurde. Daraufhin verschwanden die Stasi-Typen in ihren eigenen hässlichen vier Wänden, weil sie noch ganz andere Ausbrüche des Volkszorns fürchteten, denn sie wussten ja, was sie dem Volk so viele Jahre lang angetan hatten. Die Schergen scheuten die Öffentlichkeit und ließen sich tagsüber erst einmal nicht mehr blicken.
    Bald aber tauchten sie wieder auf, wie sich Hollitzer erinnert, und sie erfüllten die Forderung des Volkes, »Stasi in die Produktion«, auf ihre Art. Bereits im März 1990 »haben sie der angereisten drittklassigen Garnitur aus dem Westen Erstklassiges zur Miete angeboten, ein ehemaliges Gebäude des MfS, denn was Westdeutsche für ihre Geschäfte dringend brauchten, gab es einst nur bei der Stasi: Mobiliar und funktionierende Telefone. Damit haben sie harte D-Mark

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