Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
Vom Netzwerk:
verbrannt wurde.
    Auf dem Totenschein von Werner Teske, zum Tode verurteilt wegen Hochverrats, steht wie üblich als Sterbeort Stendal und als Todesursache Herzversagen. Seine Witwe wurde gezwungen, wieder ihren Mädchennamen anzunehmen, auch ihre Kinder gingen künftig unter diesem Namen zur Schule. Jede Spur des erschossenen »Verräters«, der tatsächlich ja keinen Verrat begangen hatte, sollte gelöscht werden. Die Stasi überwachte anschlie ßend bis zum Umbruch seine Frau, die lange hoffte, ihr Mann würde irgendwo festgehalten und könnte vielleicht noch leben. Bis sie 1990 die Wahrheit erfuhr. Der Henker zeigte sich unberührt von seiner blutbefleckten Vergangenheit, als er, getarnt mit dunkler Sonnenbrille und falschem Bart, in einem Fernsehinterview mit Roger Willemsen 1991 erklärte, er habe nur seine
Pflicht getan. TV-Profi Willemsen war geschockt. Einer so toten Materie, sagte er später, habe er noch nie zuvor gegenübergesessen. Lorenz ist inzwischen wirklich tot.
    Die Hinrichtung von Werner Teske war selbst nach DDR-Recht ein Justizmord. Das bestätigte wörtlich in seinen Erinnerungen auch Markus Wolf, einst Chef der DDR-Auslandsspionage, Stellvertreter Erich Mielkes, 1987 aus dem Staatsdienst ausgeschieden, 1989 kurzzeitig als Reformer gehandelt.Teske hatte zwar geheime Unterlagen gesammelt, seine ursprünglichen Pläne, in den Westen zu flüchten, jedoch längst aufgegeben.
    Einer der Unverbesserlichen, ein ehemaliger Stasi-Hauptmann, dessen Namen zu erwähnen zu viel der Ehre wäre, heute als Rechtsanwalt aktiv im roten Netzwerk, wagte dennoch den Vergleich mit dem Fall des Widerstandskämpfers und Hitler-Attentäters Graf Stauffenberg: »Wer Verrat begeht, erschießt sich. Und wer es nicht selber tut, der wird erschossen.« Der furchtbare Jurist, der es auch unter den Nazis mit dieser Gesinnung weit gebracht hätte, bestätigte damit allerdings unabsichtlich, was die in der Einheit entsorgten Altkader stets als üble Verleumdung gebrandmarkt hatten – wie furchtbar ähnlich sich Stasi und Gestapo letztlich eben doch waren. Nicht vergleichbar in ihren Taten. Aber beide gleichermaßen einsetzbar als willfährige Büttel eines totalitären Regimes.
    Der Richter, der Teske zum Tode verurteilt, und der Staatsanwalt, der die Todesstrafe beantragt hatte, wurden 1998 zu je vier Jahren Haft verurteilt. Beide nannten das Urteil ein weiteres Beispiel für Siegerjustiz und legten Berufung ein. Wie üblich unter ihresgleichen, und auch damit gleichen sie ihren geistigen Vätern aus der Nazizeit, waren sie sich keiner Schuld bewusst.
    Williges Vollstrecken der von faschistischer oder kommunistischer Obrigkeit auferlegten Pflichten, das in einer Zivilgesellschaft verweigert würde, ist typisch für bestimmte Charaktere in Diktaturen. Deshalb berufen sich Täter entweder auf Befehle, denen man sich nicht habe entziehen können ohne Gefahr für das eigene Leben, oder aber auf die Gesetze, die sie anwenden mussten,
weil sie geltendes Recht waren. Bei entsprechenden Fragen wird sowohl von den Vertretern des einen Regimes wie von denen des anderen gekontert, ob man denn sicher sei, sich selbst anders, besser, couragierter verhalten zu haben in finsteren Zeiten. Tatsächlich kann das keiner mit Sicherheit beantworten. »Was wäre wenn« spielt aber keine Rolle, wenn es um das geht, was wirklich war.
    Das Bewusstsein, nur seine Pflicht getan und keine Schuld auf sich geladen zu haben, bestimmt auch das Weltbild des gelernten Friseurs Heinz Geyer. Der legte bereits als Zwanzigjähriger nicht mehr anderen die Haare krumm, ging 1949 zur Volkspolizei und fiel seinen Vorgesetzten bald als linientreuer Stalinist auf. Folgerichtig nahm ihn das Ministerium für Staatssicherheit ein Jahr später auf in seine Familie. In der machte er Karriere. Letzte Position, bevor er 1990 in die freie Marktwirtschaft entlassen wurde, wo er sich dann ein paar Jahre lang in verschiedenen Jobs bis zum Ruhestand vorrangig in Sicherheitsfirmen durchschlug, war die eines Stabschefs der Hauptverwaltung Aufklärung. Und damit war Geyer nach Wolf ranghöchster Geheimdienstoffizier der DDR. Es ist erlaubt anzunehmen, dass er vom Fall Teske spätestens nach dessen Hinrichtung, eher wohl schon während des Prozesses erfahren hatte.
    Heute ist Geyer ein Rentner wie viele andere in der ehemaligen DDR, inzwischen zwar unbedeutend, aber in den beiden strammen Stasi- und SED-Traditionsvereinen ISOR und GRH erfährt er dank seines letzten Dienstranges

Weitere Kostenlose Bücher