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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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zu uns gekommen, wir haben euch nicht gerufen«, machte mir aber keine Hoffnung, dass dies als Ironie verstanden würde. Doch zu meiner Verblüffung lachten die meisten in undeutsch fröhlicher Einheit.
    Auch im Westen ist das Wissen um die zweite deutsche Diktatur, in der die Gemütlichkeit des Schreckens ebenso Alltag war wie eine schrecklich spießige Gemütlichkeit, nicht verbreitet und kaum gefragt. Lieber macht man es sich einfach und setzt die beiden Diktaturen, die der Nazis und die der Kommunisten, als brutale Herrschaftssysteme einfach gleich. Was durch Fakten zu widerlegen ist: Die braunen Verbrecher begannen den Krieg, bauten Konzentrationslager und ermordeten im Rassenwahn Millionen von Juden.Verglichen mit diesem blutigen Regime war das menschenverachtende rote Regime eine Puppenstube des Faschismus. Ob der »Rammstein«-Organist diese im Sinn hatte, als er vom Spielzeugland DDR sprach?
    Die Stasi, die neben den knapp hunderttausend offiziellen Mitarbeitern auch noch rund 190 000 Inoffizielle Mitarbeiter (IM) beschäftigte, von denen bis heute noch immer nicht alle entlarvt worden sind, hat mit den Ängsten der Menschen ihr Spiel getrieben. Sie war nach Ansicht des Historikers Fritz Stern die »perfekteste Institution der Welt für die Korrumpierung eines Volkes, weit größer, als die Gestapo jemals gewesen war, weniger brutal, aber heimtückischer. Karl Marx hatte vorausgesagt, dass der Staat
in einem fortgeschrittenen Stadium des Sozialismus absterben werde. Ich kann mir das Absterben eines modernen Staates nicht vorstellen, aber vielleicht kam die DDR mit ihrem rückständigen Sozialismus dem am nächsten.«
    Unkenntnis und Dummheit führen einerseits zur Verklärung dieses alltäglichen Schreckens oder andererseits zu einem empörten öffentlichen Aufschrei über wieder mal entdeckte Belege für die Brutalität der einst Herrschenden, die manchmal keine Neuigkeiten sind, wie jene, die im Sommer 2007 Schlagzeilen machte: Bei der »Bearbeitung eines Forschungsantrages zu Grenzdurchbrüchen«, wie es im Amtsdeutsch hieß, war kurz vor dem 46. Jahrestag des Mauerbaus im August in einer Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde in Magdeburg ein »aufsehenerregendes« Dokument gefunden wurden. Danach war die Spezialeinheit der Staatssicherheit, zu der am Ende der DDR 91 015 hauptamtliche Mitarbeiter gehörten, angeblich beauftragt worden, gnadenlos auch auf Frauen und Kinder zu schießen, falls Grenzverletzer diese bei einem Fluchtversuch dabeihatten. Wörtlich: »Zögern Sie nicht mit der Anwendung der Schusswaffe, auch dann nicht, wenn die Grenzdurchbrüche mit Frauen und Kindern erfolgen, was sich die Verräter schon oft zunutze gemacht haben.«
    Der Befehl lag in der Akte eines Feldwebels dieser Einheit, der zwischen 1971 und 1974 an der Grenze zur Bundesrepublik eingesetzt war. Die Kompanie, die eine Lizenz zum Töten hatte, gab es bis 1985. Alle Zeitungen vermeldeten die angebliche Sensation. Marianne Birthler, die »Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik«, bestätigte die »große zeitgeschichtliche Relevanz« des Fundes, und dies vor allem deshalb, weil die politisch Verantwortlichen nach wie vor bestritten, dass es überhaupt einen sogenannten Schießbefehl gegeben habe. Der frühere DDR-Staatschef Egon Krenz gehört zu den Gemeinten und meldete sich denn auch sofort in der »Bild«-Zeitung zu Wort: »Es hat einen Tötungsbefehl, oder wie Sie es nennen Schießbefehl, nicht gegeben. Das weiß ich nicht aus Akten, das weiß ich aus eigenem
Erleben. So ein Befehl hätte den Gesetzen der DDR widersprochen«.
    Der Wirbel legte sich allerdings schnell, als bekannt wurde, dass sowohl Marianne Birthler als auch viele der alarmiert reagierenden Politiker nicht gewusst hatten, dass dieses Dokument schon seit zehn Jahren bekannt war und in einer nahezu identischen Version »fast wortgleich und schon längst gerahmt und für jedermann sichtbar im Dokumentationszentrum« (»Der Spiegel«) ausgerechnet in der nach ihrer Chefin benannten Birthler-Behörde in Berlin ausgestellt war. Das war peinlich, insbesondere für Marianne Birthler, die entschuldigend von einem »ärgerlichen« Bewertungsfehler sprach. Bereits 1993 war eine Dienstanweisung entdeckt worden, die einen Schießbefehl, auch gegen Frauen und Kinder, enthalten hatte, und in der vier Jahre später erschienenen »DDR-Geschichte in Dokumenten« 1997 veröffentlicht

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