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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Einheit. Das Wirtschaftswachstum im Osten war im Jahre 2006 mit drei Prozent sogar um 0,3 Prozentpunkte höher als das im Westen. Die Mieten in den neuen Bundesländern sind niedriger, die Renten höher, die Schulklassen kleiner, die Straßen und das Schienennetz besser ausgebaut, weil fast 67 Milliarden Euro in die marode Infrastruktur investiert worden sind.
    Noch immer ist die Arbeitslosigkeit mit durchschnittlich 14,7 Prozent insgesamt doppelt so hoch wie die in den alten Bundesländern. Dass diese reine Statistik nicht viel aussagt über die tatsächliche Situation in ganz Deutschland, zeigen andere Fakten. Die Arbeitslosigkeit in Gelsenkirchen beträgt 18 Prozent, die in Dortmund 15 Prozent, und dennoch müssen im Rahmen des Solidarpaktes II, durch den bis 2019 der Osten mit insgesamt 156 Milliarden Euro unterstützt wird, diese verarmten westdeutschen Gemeinden aus ihren eh leeren Kassen noch Millionen aufbringen für ebendieseTransfers. Der Stadtkämmerer von Dortmund zum Beispiel hätte ohne die geleisteten Solidarbeiträge nicht 900 Millionen Euro Schulden zu verwalten, sondern 500 Millionen.
    Im äußersten Westen der geeinten Republik gibt es Gemeinden, wo das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner mit 11 300 Euro sogar hinter dem von Mecklenburg-Vorpommern liegt. Rein optisch sieht es hier aus wie im Osten – ausgestorben wirkende Dörfer, vernagelte Fenster, verlassene Fabriken. Früher blühte hier die Schuhindustrie, jetzt blüht hier nur noch, was die Natur selbst betreibt. Deshalb haben siebzehn kleine Gemeinden in Zweibrücken-Land gegen ihr Bundesland geklagt, weil sie nicht länger den deutschen Osten unterstützen wollen, wozu sie bis
2019 im Solidarpakt II verpflichtet sind. Jährlich überweisen sie etwa 700 000 Euro, und dies bei einem Schuldenstand von einer Million. In erster Instanz wurden sie abgeschmettert, doch in ihrer Not wollen sie bis vors Bundesverwaltungsgericht ziehen. Die aufmüpfigen Jammerwessis sehen nicht mehr ein, dass sie nur deshalb für den Osten zahlen sollen, weil sie im Westen beheimatet sind, obwohl es längst auch im Osten Gemeinden gibt, die viel mehr Geld haben als sie und so gesehen eher ihren Solibeitrag West leisten müssten.
    Hannelore Kraft, SPD-Chefin im größten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen, fordert sogar, vergleichbar dem Aufbau Ost, einen Aufbau West: »Bei uns gibt es Städte im Ruhrgebiet, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Kindergärten unterhalten sollen. Trotzdem sind sie verpflichtet, weitere Schulden zu machen, um Geld in Boomregionen im Osten zu überweisen.« Dresden ist so eine Boomtown, schuldenfrei nach dem Verkauf der städtischen Wohnungen und dennoch solidarisch aus dem Westen gefördert, obwohl es dort viele Städte längst viel nötiger hätten, aus dem Solidarpakttopf genährt zu werden.
    Dass dies nicht ohne Folgen bleibt für die herrschende Stimmung zwischen den Deutschen im Osten und ihren mehr als viermal so zahlreichen Brüdern und Schwestern im Westen, dass dies auch die Ursachen sind für die gestörten Beziehungen, ist also nicht erstaunlich. Westdeutsche fühlen sich finanziell und wirtschaftlich ausgebeutet, vernachlässigt und benachteiligt. Rund 80 Prozent fordern die Abschaffung des 5,5-prozentigen Solizuschlages, den übrigens auch Ostdeutsche bezahlen, während im Osten eine deutliche Mehrheit für die Beibehaltung plädiert.
    Solidarpakt ist nicht gleich Solizuschlag, immer noch muss das erwähnt werden. Gedacht war der Pakt einst zum »Abbau vereinigungsbedingter Sonderlasten« im Osten, doch hatten den im Laufe der Jahre die stets klammen Neuen benutzt, ihre Etats zu entlasten. Große Empörung im Westen, als sich herausstellte, dass bis zu fünfzig Prozent der Transfers zweckentfremdet worden waren. »Solange die neuen Länder die Mittel des Solidarpaktes in
irgendeinen Blödsinn stecken, wird die Debatte natürlich nicht aufhören«, analysiert kühl Birgit Breuel diese Schieflage der Nation. Man müsse die Mittel dahin geben, wo sie die größtmögliche Wirkung erzielen, die Politik des Leuchtturms verfolgen statt die der Gießkanne.
    Was hat das zu tun mit dem Selbstbewusstsein vieler Ostdeutscher, das einfach nicht wachsen will, obwohl denen jedes Jahr am 3. Oktober bei den Feiern zur deutschen Einheit attestiert wird, besonders motiviert zu sein? Die gelobt werden von wechselnden Festrednern, eine gewaltige Lebensleistung allein dadurch erbracht zu haben, dass sie die Brüche in ihren Biografien

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