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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Spießgesellen als passend zu ihren Parolen beschreiben, wäre das nicht nur gemein, sondern eine echte Beleidigung.
    Den ganz in Weiß gekleideten Zeitgenossen, der vor der Kapelle eine mitgebrachte Kerze anzündet und sich da aufstellt, hätten sie zu ihren Zeiten von der Vopo zuführen lassen. Er hat ein Schild um den Hals gehängt, und allein das wäre früher sofort verdächtig gewesen wegen möglicherweise staatsfeindlicher Äu ßerungen, die da geschrieben standen. Auf diesem Plakat hier steht schlicht: »Danke Freund und Genosse Markus Wolf. Shalom«. Der russische Botschafter, den ich davor zuletzt bei einem glamourösen Empfang hoch über dem nächtlichen Berlin, mit Blick auf das Brandenburger Tor, getroffen habe, seine schöne rothaarige Frau an der Seite, Champagnerglas in der Hand, spricht an diesem Novembertag davon, dass Deutschland mit dem Verstorbenen einen seiner bedeutenden Söhne und Russland einen seiner besten Freunde verloren habe. Der Sohn des berühmten Antifaschisten Friedrich Wolf, der mit seiner Familie vor Hitlers Schergen nach Moskau floh, habe sein Leben dem Kampf gegen Nazismus und Krieg gewidmet.
    So wie Wladimir Kotenev kann man es zwar sehen, anders allerdings auch. Die Gemeinde, etwa 1500 Menschen dürften es sein, steht dicht gedrängt zwischen den Gräbern des Zentralfriedhofs in Friedrichsfelde, und sie alle nicken beifällig. Die Kapelle ist überfüllt. Die Rede Kotenevs kommt nicht nur deshalb draußen gut an, weil die Lautsprecher funktionieren. Was Links-Partei-Chef Lothar Bisky dann am Grab zu Ehren von Markus Wolf sagen wird, der zusammen mit Hans Modrow 1989 zu den Hoffnungsträgern der DDR gezählt habe, der bei diesem Satz keine Regung zeigt, ist dann nur mehr in den ersten fünf, sechs Reihen der Trauernden zu verstehen. Unter denen sind viele, die »Mischa« Markus Wolf, dem Chef der DDR-Auslandsspionage, die er von 1956 bis zu seiner Entlassung 1986 leitete, seine Abkehr vom allein selig machenden Glauben an die heilige Dreieinigkeit Marx, Engels, Lenin nie verziehen haben. Dabei hatte er sich
nur von deren Jüngern auf Erden distanziert, zum Beispiel von Mielke, Honecker, Stoph.
    Die ehemaligen Stasi-Generale Gerhard Neiber zum Beispiel, ein Eiseskälte ausstrahlender Überzeugungstäter, der anderthalb Jahre später starb, oder Wolfs Nachfolger Werner Großmann, der mich in meiner Überzeugung bestärkt, Alter allein sei noch lange kein Grund für Verjährung bestimmter Taten, sahen in Wolf eher den Verräter. Mit erstaunlich offenen Memoiren, seiner Bereitschaft, in TV-Talkshows der Sieger für seine Bücher zu werben und die Vergangenheit dabei nicht zu verklären, für die er aufgrund seiner anteiligen Schuld zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden war, ist Wolf aus ihrer Sicht schon längst zum Gegner übergelaufen.
    Die Männer, die sich einst begeistert hinter Markus Wolf scharten, dem sie jetzt das letzte Geleit geben, waren gefürchtet, was man sich heute beim Anblick der teigig verbitterten Rentnerbande kaum vorstellen kann. Sie galten auch im Westen bei ihren Gegnern als hochprofessionelle Truppe und als die vielleicht besten Schlapphüte in der internationalen Liga der Spione. Sie verstanden sich auf ihr Geschäft.
    Denn wären die nicht so gut gewesen in dem, was sie taten, sagt mir ein paar Tage später Uwe Schmidt, der sie nie aus den Augen verloren hat, dann hätten sie nicht nach dem Umbruch so perfekt ihr neues Netzwerk knüpfen oder das Parteivermögen der SED größtenteils verschwinden lassen können zwischen sagen wir mal Kuba und den Schweizer Alpen. Der Jäger der verlorenen Schätze verweigert ihnen nicht den Respekt des Profis, aber das heißt nicht, dass er die Jagd aufgegeben hat. Die meisten der Fälle, die er in den vergangenen bald zwanzig Jahren in Ordnern gesammelt hat, sind zwar alt. Sein Zorn jedoch bleibt jung: »Der kleine Einbrecher an der Ecke wird gefasst, kommt in U-Haft und wird verknackt. Der feine Wirtschaftskriminelle engagiert die besten Anwälte, und wenn die beim Staatsanwalt anrücken, verliert der die Lust und ahnt, dass er schon verloren hat.«
    Das nennt Uwe Schmidt, dem Klassenkampfparolen zuwider
sind, dann doch passend Klassenjustiz. Dass viele Staatsanwälte zweitklassig waren oder gar drittklassig, wie er es oft genug erlebt hat, scheint ihm weniger das Problem beim Kampf gegen Korruption auf höherer Ebene zu sein, sondern dass es denen an Mut fehlte, die Netzwerke aus Politik und

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