Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
Vom Netzwerk:
so viel mehr wissen. Und nicht zögern, dieses Wissen öffentlich zu machen. Sie geben den Altkommunisten nicht die Chance, die Untaten ihre Vergangenheit zu relativieren. Gauck: »Die nationalsozialistischen Verbrechen – der Völkermord an den europäischen Juden, an Sinti und Roma sowie
die Verfolgung und Vernichtung Andersdenkender und von gesellschaftlichen Randgruppen, nicht zuletzt die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges als Angriffs- und Vernichtungskrieg – haben in unserem Volk tiefe Spuren hinterlassen. Die Unrechtsund Verfolgungspolitik der SED-Diktatur, die Verhinderung demokratischer Willensbildung, die Marginalisierung individueller Freiheiten sowie die Unterdrückung weiter Teile der Bevölkerung mit Hilfe eines gigantischen Überwachungsapparates haben jahrzehntelang Bewusstsein und Verhalten unserer Gesellschaft in der ehemaligen DDR geprägt.«
    Gegen das Vergessen werden die Zeichen einer wehrhaften Demokratie gesetzt, in Gedenkstätten, die sowohl an den Nationalsozialismus als auch an die SED-Diktatur erinnern, verbunden mit Appellen an den Citoyen, den Bürger, über seinen garantierten Rechten nie die Pflicht zu vergessen, einem »demokratiefeindlichen Totalitarismus mit Entschiedenheit rechtzeitig entgegenzuwirken«.
    Die von Rainer Eppelmann geleitetet Stiftung, gegründet 1998, bietet in ihrer Bibliothek mehr als 34 000 Bücher zur Geschichte der Repression nicht nur in der DDR, sondern weltweit in allen denkbaren Formen von Diktaturen. Schwerpunkte ihrer Aufklärungsarbeit sind Ausstellungen, Konferenzen,Veranstaltungen. Die Macher der Stiftung scheuen nicht die Begegnung mit den ehemaligen Herren der DDR, im Gegenteil, sie suchen die Konfrontation. Sie schicken den eloquenten Eppelmann aufs Podium. Der ist bekannt dafür, sich nichts gefallen zu lassen, alle Argumente und Zahlen und Fakten parat zu haben.
    Gern erwähnt er, und schaut dabei grinsend in die Gesichter derer, die genau wissen, wovon er spricht, dass die Stiftung ihren jährlichen Etat von 4,5 Millionen Euro aus den Zinsen für jene 77 Millionen Euro bestreitet, die ihr aus dem sichergestellten ehemaligen SED-Vermögen zugeflossen sind. Es passiert schließlich selten, dass sich die Vergangenheit für die Gegenwart auszahlt, dass sich die Begleichung alter Schuld und die alter Schulden auf so wunderbare Weise miteinander verbinden lässt.
    Das trotzige »Wir sind wieder wer« – Aufbegehren der Gestrigen auf ihrer letzten Station vor der Wiedervereinigung mit den Genossen Honecker, Mielke, Ulbricht etc. – verhallt aber ungehört, weil es keine Substanz hat. Was sie sehnlich erwarten, sind lautstarke Erwiderungen des regierenden Klassenfeindes, denn das würde bedeuten, man nimmt sie fast zwanzig Jahre nach ihrer inneren Emigration in die Wohnhöhlen der vertrauten Plattenbauten wieder ernst. Sie hoffen meist vergebens.Was als Antwort bei ihnen ankommt, sind weder Signale des Volkes noch Gegenattacken der Heutigen. Es ist nur das Echo des eigenen Geschreis, das sich an den Brettern vor ihren Köpfen bricht und nun zu ihnen zurückschwappt.
    Sie sind also in Wahrheit Verlorene, weil sie sich nie ihrer Vergangenheit stellten und schon deshalb nie eine Zukunft haben konnten. Dass sie sich bei ihren Kameradschaftstreffen in den Ortsgruppen von ISOR und GRH gegenseitig bestätigen, einst nur Gutes, oft das Beste gewollt zu haben, gibt ihrer Gegenwart einen Sinn, aber für Sorge letztlich keinen Anlass. Und falls sie sich doch noch mal in Massen versammeln, geht es nicht mehr wie einst im Mai ihres Lebens darum, den baldigen Sieg des Sozialismus zu beschwören, sondern Solidarität über den Tod hinaus zu demonstrieren.
    Die Beerdigung von Markus Wolf im November 2006 war so gesehen eine große Kundgebung. Die vielen Männer und wenigen Frauen, die sich vor dem Kondolenzbuch und dem Schwarz-Weiß-Foto des Verstorbenen drängen, feiern trauernd ein freudiges Wiedersehen. Der Anlass ist bestens geeignet. Für den Abschied von ihrem ehemaligen Chefaufklärer haben sich seine Jünger noch einmal fein gemacht, die schwarzen Lederwesten und die grauen Windjacken, an denen man sie damals identifizieren konnte, in den Schränken gelassen. Erkennbar bleiben sie an misstrauisch ihre Umgebung abtastenden Blicken, ob denn hinter diesem oder jenem Busch oder Baum nicht mal wieder der Klassenfeind steht und sie so beobachtet wie einst umgekehrt sie den. Würde ich aus meiner Sicht die schlaff hängenden Gesichtszüge
der verrenteten

Weitere Kostenlose Bücher