Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte. Sie war nie in der Partei. Ihr Führungsoffizier hieß Helmut Menge. Seine Abteilung war zuständig für die Überwachung von allen in der DDR akkreditierten Journalisten, nicht für Schauspieler wie Jenny Gröllmann oder Ulrich Mühe, wohl aber für beispielsweise Peter Pragal (im Visier der Stasi als Operativer Vorgang »Starnberg«), Korrespondent der »Süddeutschen Zeitung« und des »Stern«, den Jenny Gröllmann kannte. Während ihrer Ehe mit Ulrich Mühe gab es keinen einzigen Kontakt zum MfS. Eine handschriftliche Verpflichtung liegt nicht vor. Zwischen dem 15. Februar 1984, nachdem sie Mühe geheiratet hatte, und dem 19. Dezember 1989, als sie endgültig archiviert wurde im Nationalen Amt für Sicherheit, weil IM »Jeanne« jede weitere Zusammenarbeit abgelehnt habe, gibt es keine Aufzeichnungen über Treffen, von 1980 bis 1984 dagegen sind sechzehn Treffen verzeichnet. Außer einem Blumenstrauß im Wert von zehn Mark am 11. September 1980 hat »Jeanne« niemals etwas bekommen für ihre angeblichen Dienste. Ihr Witwer bekam in einer nachgereichten Klage vor Gericht recht: Über den Verdacht dürfe berichtet werden, eine Behauptung, sie sei IM »Jeanne« gewesen, sei nicht statthaft. Die Wahrheit werde sich in diesem Fall nie mehr klären lassen, urteilte ein Berliner Richter.
Im DDR-System, das Linientreue verlangte, konnte man Unliebsame und Unbeugsame auch anders denunzieren und erledigen, auf der Bühne wie im Leben. Der Literaturbetrieb war
ebenso geprägt von Eitelkeiten und Auseinandersetzungen und Häme und übler Nachrede. Im Osten blieben im Gegensatz zum Westen dabei aber sowohl die Bücher als auch die Dichter auf der Strecke. Zuständig für Schriftsteller war die »Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel«. Die Begutachtung von Manuskripten galt als »eine der wichtigsten operativ-konkreten Formen der Wahrnehmung der kulturell-erzieherischen Funktionen des Staates«. Die Kulturfunktionäre brüsteten sich sogar damit, dass ihr Land nicht nur ein Paradies der Werktätigen sei, sondern auch eines der Leser, und verwiesen stolz auf die Zahl von sechstausend Büchern, die pro Jahr von ihren achtzig Verlagen herausgegeben wurden. Verschwiegen dabei, dass alle literarischen Texte vorgelegt werden mussten, bevor es eine Druckgenehmigung gab – oder auch nicht gab.
Diese Bestimmung kannten die Autoren natürlich. Was zur vorauseilenden Selbstzensur führte. Sie entschärften lieber, als das Risiko einzugehen, dass ihre Texte von amtlichen Scharfrichtern hingerichtet wurden. Christoph Hein nannte die Zensur deshalb auf dem XX. Schriftstellerkongress ein Jahr vor dem Umbruch »überlebt, nutzlos, paradox, menschenfeindlich, volksfeindlich, ungesetzlich, strafbar«.
Die Zensoren spielten in ihrem miesen Spiel stets auf Zeit.Von der glaubten sie unendlich viel zu haben. Joochen Laabs erging es so mit dem Manuskript zu seinem doppelsinnigen Roman »Der Schattenfänger«, den die staatlichen Kulturbanausen zwei Jahre lang prüften, Satz für Satz, Wort für Wort, bis sie die Freigabe erteilten. Zu spät für den Dichter, denn inzwischen war die Geschichte, die er erzählte, zwar immer noch eine gute Geschichte, aber ihr Autor von der Geschichte überholt worden. Es geht um einen vom sozialistischen Alltag und seinen Beschränkungen beschädigten Mann, der sich zurückzieht aufs Land in die Einsamkeit und nur noch schreiben will. Die Schatten der Vergangenheit lassen ihn aber nicht los, und die scheinbare Idylle raubt ihm den Atem. Er erstickt in seiner Verzweiflung, vergebens auf die Ankunft der Tochter wartend, die er lange nicht gesehen hat, und als er sie
endlich zu sehen glaubt, ist es nur ein Gespenst, das ihm in seinem Delirium vorgegaukelt wird. »Solange diese Macht so etwas wie mich hervorbringt, Menschen, die, wenn es darauf ankommt, nicht zu sagen wagen, was sie denken, und sie bringt sie eben mehr als genug hervor, wird es der Sozialismus nicht weit bringen.«
Solche Sätze hätten sie ihm in jenen Zeiten, denen auch er entronnen ist, nicht durchgehen lassen, aber als sein »Roman eines Irrtums« dann ohne Probleme 1990 gedruckt wurde, hatten solche Zwischen-den-Zeilen-Wahrheiten bereits keine Konjunktur mehr. In den neuen Zeiten, da alles gesagt werden durfte und in jeder gewünschten Lautstärke, waren leise Zwischentöne nicht mehr gefragt, sie hatten ihre Brisanz verloren. Und ihren Marktwert.
Wir sitzen auf der Bank vor seinem Reetdachhaus in
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