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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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roten Rosstäuscher zu hören, ihnen bis heute treu folgen, sich auch durch Fakten nichts mehr vom Weg abringen lassen werden.
    Da jedoch die anvisierte Zielgruppe abzuschalten pflegt, wenn ihnen die üblichen ihnen besonders verdächtigen Politiker was erzählen von Freiheit und Zivilcourage, suchte Kommissionspräsidentin Dagmar Schipanski, einst ostdeutsche Kandidatin der
CDU bei der Bundespräsidentenwahl, einen, der sowohl ihre Sprache spricht als auch die der Jugendlichen. So viele davon – cool! geil! – haben die Christdemokraten im Osten nicht. Mario Czaja passte ideal zum Anforderungsprofil: Der 33-Jährige ist ein echtes Zonenkind, geboren in Ostberlin, aber unbelastet von der dort immer noch oder schon wieder lebendigen Vergangenheit, und als bekennender Schwarzer unter ziemlich vielen Roten davon überzeugt, dass es ohne die CDU nicht so gut geklappt hätte mit der deutschen Einheit.
    Aber zur Wahrheit gehört andererseits ebenso, dass der Sieg bei den ersten freien gesamtdeutschen Wahlen 1990 über den einheitsskeptischen damaligen Sozialdemokraten Oskar Lafontaine auch deshalb so locker gelang, weil sich die CDU schon früh während der postrevolutionären anarchischen Verwirrungen die ostdeutsche Blockpartei gleichen Namens einverleibte. Und weil Helmut Kohl mit sicherem Instinkt für das, was die gebeutelten Ostdeutschen hören wollten, Wohlstand für alle zusicherte, falls die Mehrheit der neuen Brüder und Schwestern über achtzehn ihn und seine Partei wählen würde:
    »Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger, gemeinsam haben wir vor wenigen Wochen den Tag der Deutschen Einheit gefeiert … Jetzt kommt es darauf an, daß wir für unser Vaterland gemeinsam eine gute Zukunft gestalten... In unserem demokratischen Rechtsstaat dürfen Feinde der Freiheit nie wieder das Sagen haben... Schon bald werden auch die fünf neuen Bundesländer blühende Landschaften sein... Unser System der sozialen Sicherheit ist weltweit anerkannt... Sichere Renten und weitreichende Reformen zugunsten der Familie sind dafür nur Beispiele … Dank unserer Politik hat die junge Generation in Deutschland jetzt – wie kaum eine andere Generation vor ihr – alle Chancen auf ein ganzes Leben in Frieden... in Wohlstand und sozialer Sicherheit. Am 2.12. geht es um eine Schicksalswahl... Gehen Sie zur Wahl. Stimmen Sie für die CDU...«
    Mario Czaja, den ich Ossi nennen darf, weil er fröhlich darüber lachen kann, sitzt für die CDU im Berliner Abgeordnetenhaus, wo
er den Wahlkreis Kaulsdorf-Mahlsdorf vertritt. Der sagt mir erst mal gar nichts. Dann fällt mir doch noch ein, warum mir Mahlsdorf irgendwie bekannt vorkam: wegen der Sammlerin Charlotte von Mahlsdorf, die als Lothar in Mahlsdorf auf die Welt gekommen war und vor zehn, fünfzehn Jahren in jeder Talkshow des Westens auftrat, als Frau berühmt wurde, als Mann beerdigt ist.
    Kaulsdorf-Mahlsdorf liegt am östlichsten Rand von Berlin. Kurz dahinter endet die Metropole, und es beginnt die ostdeutsche Pampa.Was die Bewohner dort aus ihrer Perspektive anders sehen. Für die liegt der per S-Bahn in vierzig Minuten erreichbare Westen Berlins in weitaus größerer Ferne als der ihnen nicht nur geografisch herzlich nähere Osten von Marzahn, Hellersdorf, Treptow, Köpenick. Hier ist die CDU schon längst keine Volkspartei mehr, sondern eine vom Aussterben bedrohte Minderheit, ein Fall für die Rote Liste gefährdeter Spezies. Hier bewegt sich die CDU mit Werten von elf oder höchstens mal dreizehn Prozent sichtbar am Rande der deutschen Einheit zwischen Resignation und Kapitulation.
    Hier ist Czaja zu Hause.
    Doch weil er eben kein typischer CDU-Politiker ist, hat er bereits 1999, und seitdem immer wieder, ausgerechnet genau hier gewonnen, wo es für teils mehr, teils weniger demokratische Sozialisten normalerweise zum Sieg reichen würde, bei Wahlen einen Besenstiel aufzustellen, den sie Gregor nennen. Schon für seinen ersten Wahlkampf hat er den der PDS adaptiert und mit dieser feindlichen Übernahme einer politischen Strategie Erfolg gehabt. Er wartete nicht, bis Wähler zu ihm in die Sprechstunden kommen würden, sondern ging als Handelsvertreter in Sachen Politik Klinken putzen von Tür zu Tür, so wie es ihm die von der anderen Partei vorgemacht hatten, hörte sich die Klagen der Menschen an und versprach ihnen, sich darum zu kümmern. Das versprechen zwar vor Wahlen alle, aber Czaja hielt Wort und ließ den Worten Taten folgen.
    Denn was ihm bei seiner Ochsentour

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