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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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ins Land gezogen waren und vom Frühling der Prager Art nichts mehr zu spüren war, traten die roten Machthaber mit den ihnen eigenen Worten ans Mikrofon, und die erinnerten fatal an die einstigen der braunen Machthaber. Günther Jahn, 1. Sekretär des Zentralrates der FDJ, in seinem Schlusswort auf der FDJ-Hochschulkonferenz am 13. April 1969: »Meine persönliche Meinung ist es sowieso, es wäre die beste Lösung, wenn sich die Konterrevolution auf einen Schlag auf dem Wenzelsplatz verbrennen würde. Aber den Gefallen tun sie uns ja nicht, und darum müssen wir uns mit dem revisionistischen Gedankengut auseinandersetzen.«
    Was ist nach 1968 aus den ostdeutschen 68ern geworden?
    Sanda Weigl sang für die Rockband »Team 4« und setzte sich in den Hitparaden fest. Als sie wie so viele andere Künstler 1976 die Protestresolution gegen die Ausbürgerung Biermanns unterschreibt, wird sie in den Westen abgeschoben. Sie macht Karriere, spielt an den großen Theatern in München, Zürich und im Hamburger Thalia Theater, wohnt heute in New York, ist verheiratet mit dem Autor und Schauspieler Klaus Pohl, kommt regelmäßig mit ihrer Jazzband zu Tourneen ins nunmehr freie Deutschland. Bettina Wegner heiratet 1979 den Schriftsteller Klaus Schlesinger, schreibt Gedichte und Lieder, wird mit ihrem Song »Sind so kleine Hände« ein Star der Liedermacherszene, wird zur Ausreise in den Westen gezwungen und beendet 2007 ihre Karriere. Uszkoreit wird in Saarbrücken Professor für künstliche Intelligenz, Rosita Hunzinger Fachärztin für Psychiatrie in Berlin, Erika Berthold Pädagogin und Autorin, Frank Havemann wählt ebenfalls die akademische Laufbahn.
    Thomas Brasch, der charismatische demokratische Sozialist, schlägt sich durch als Mitarbeiter im Brecht-Archiv, schreibt Theaterstücke, die der Zensur natürlich nicht gefallen. Er bleibt un beugsam.Als 1976 Wolf Biermann ausgebürgert wird – nach einer genehmigten Tournee im Westen darf er nicht mehr zurückkehren in die DDR -, verfasst Stephan Hermlin eine Resolution,
die von Christa Wolf, Sarah Kirsch, Volker Braun, Rolf Schneider, Franz Fühmann, Stefan Heym, Günter Kunert, Heiner Müller, Gerhard Wolf, Jurek Becker, Erich Arendt unterschrieben und im Westen veröffentlicht wird, weil das »Neue Deutschland« den Abdruck abgelehnt hatte. »Wolf Biermann war und ist ein unbequemer Dichter – das hat er mit vielen Dichtern der Vergangenheit gemein. Unser sozialistischer Staat, eingedenk des Wortes aus Marxens 18. Brumaire, dem zufolge die proletarische Revolution sich unablässig selber kritisiert, müsste im Gegensatz zu anachronistischen Gesellschaftsformen eine solche Unbequemlichkeit gelassen nachdenkend ertragen können.«
    Brasch erklärt sich wie auch Armin Müller-Stahl, Manfred Krug, Nina Hagen, Eva-Maria Hagen, Jutta Hoffmann, Katharina Thalbach, Ulrich Plenzdorf solidarisch mit den Schriftstellern. Der Staat reagiert mit Parteiausschlussverfahren und Auftrittsverboten oder Verhaftungen. Wer ausreisen will, darf sofort gehen, wer nicht will, wird so lange schikaniert, bis er freiwillig geht. Jürgen Fuchs und Gerulf Pannach werden nach acht Monaten Haft direkt über die Grenze abgeschoben in den Westen.
    Egon Krenz informiert seinen obersten Genossen Erich Honecker, dass ein paar renitente Studenten der Filmhochschule Potsdam zwar noch kritische Fragen stellten, ob man sich denn einen Biermann nicht leisten könne, dass es jedoch eine »generelle Zustimmung zu den Entscheidungen unserer Regierung« gegeben habe. »Der Mehrheit der Studenten war Biermann nicht bekannt. Die Unkenntnis förderte Fragen zur Person – wer ist Biermann? Was hat er geschrieben? Warum hat er Auftrittsverbot? Woran erkennt man bei uns einen Feind?«
    Zusammen mit seiner neuen Lebensgefährtin Katharina Thalbach wird Brasch im Westen gefeiert für seinen Prosaband »Vor den Vätern sterben die Söhne«, er schreibt Dramen und dreht Filme, taucht für Jahre ab und dann wieder auf und stirbt, 56-jährig, 2001 nach einem Herzinfarkt. Er ist begraben, heimgekehrt nach Ostberlin,Wortmächtiger unter Wortmächtigen, auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, den mir Lothar de Maizière
zu Beginn meiner Reise vom Fenster seiner Kanzlei aus gezeigt hat.
    Florian Havemann, der 1971 in den Westen flüchtet, von seines Vaters Freund Wolf Biermann besungen als »Enfant perdu«, als verlorenes Kind, das den Sozialismus verraten habe, verfasst ohne großen Erfolg Theaterstücke zum Beispiel über

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