Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
in einem kleinen Büro in Hellersdorf. Zu meinen Füßen schnarcht sein freundlicher Hund. An der Wand hängt eine Zeichnung, die eindeutig einen Soldaten der Nationalen Volksarmee zeigt, erkennbar am typischen Stahlhelm, am Brandenburger Tor stehend. Ein Kunstwerk, das vor dem Umbruch entstanden sein muss. Der massige Mann mir gegenüber, knapp über sechzig Jahre alt, lässt die Vergangenheit durchs offene Fenster rein.
Greift sie sich, hält sie fest und erzählt.
Es war einmal …
... aber so fangen zu viele Märchen aus Deutschland an. Erst einmal will ich wissen, was er eigentlich treibt hier draußen in
Hellersdorf. Inzwischen weiß ich ja, warum der Taxifahrer so glücklich aufstrahlte, als ich ihm am Berliner Hauptbahnhof mein Fahrziel nannte. So weit war er noch nie in den Osten vorgedrungen. Was er an dieser einen Fahrt verdiente, rettete seinen Tag. »Zurück fahren Sie mit der S-Bahn«, wird er mir später knapp befehlen, »kostet Sie nur knapp zwei Euro.«
Was treibt er nun hier?
Herrmann betreibt von hier aus im »Fahrschul-, Linien- und Reiseverkehrsunternehmen« ziemlich viel: drei Fahrschulen mit sieben Zweigstellen, Busreisen durch ganz Europa für Senioren, Vereine, Familien, Betriebe, natürlich mit eigenen Fahrzeugen der Richard-Herrmann-Gruppe, die auch seinen Namen als Schriftzug tragen, im Hinblick auf die ältere Zielgruppe bestens ausgestattet; bei Kegelbrüdern begehrt ist der Bierbus mit bordeigener Ausschankanlage. Für Berliner Verkehrsbetriebe übernehmen die zivilen Truppen des Exgenerals den Stadtlinienverkehr und im Auftrag der S-Bahn oder der Deutschen Bahn den Schienenersatzverkehr. Das ist strategisch wohlüberlegt, denn wegen der Pläne Hartmut Mehdorns, viele Strecken stillzulegen, gehört Bussen trotz gestiegener Spritpreise die Zukunft auf dem flachen Land. Dazu kommen Schülertransporte, Shuttle- bzw. Transferservice zu den Flughäfen, ein dem Unternehmen angeschlossener Taxibetrieb und, weil es sich geradezu anbot, Service und Instandsetzung für PKWs und Omnibusse. Richard Herrmann ist 1990 mit quietschenden Reifen gestartet in die Marktwirtschaft, um sich möglichst schnell vom Feld abzusetzen, und deshalb vor den anderen im Ziel angekommen. Er hat es, aufgestanden aus den Ruinen der SED-Diktatur, beim ehemaligen Klassenfeind zum Millionär gebracht.
Und was hat er davor getrieben in der DDR?
Richard Herrmann war Berufsoffizier, was für ihn hieß, sich zu den »soldatischen Tugenden als Lebensprinzip zu bekennen und sich für eine wertorientierte Lebensführung entschieden zu haben«. Zum Glück, fügt er gleich hinzu, habe er diese Prinzipien nur im Frieden erproben müssen. Auf der Leiter ist er auch nicht wegen besonderer Führungsqualitäten auf irgendeinem Kasernenhof
nach oben geklettert, sondern wegen seiner besonderen technischen Fähigkeiten als gelernter Landmaschinen- und Traktorenschlosser, Fahrlehrer und Ingenieur. In der Partei war er natürlich auch, »das war ein Muss für jeden Berufsoffizier, spätestens im dritten Studienjahr hatten wir keinen parteilosen Offiziersschüler mehr unter uns«. Von 1987 bis fast zum Ende der DDR leitete er die Spezialbaubetriebe im Auftrag des Ministeriums für Bauwesen und Bauvorhaben. Das trieb ihn an und um. Die wurden eingesetzt für die Landesverteidigung, waren also zuständig für militärische Bauten wie Raketenstellungen, Kasernen, Bunker – die in der DDR Schutzbauwerke genannt wurden – und Instandhaltung, Rekonstruktion und Neubau von Flugplätzen etc.
Eine heute besonders absurd anmutende Aufgabe bestand einmal darin, die Kaserne der Westgruppe in Weißenfels, die in einem baufälligen Zustand war, zu sanieren. Wo aber sollten die Soldaten in der Zeit untergebracht werden? Die Idee, dies zu erledigen, falls mal ein kleiner Krieg anstand, etwa nach dem Muster, wir rücken aus, erobern den Westen, machen eine Siegesfeier in Cuxhaven, für die allerdings bei einem Manöver tatsächlich mal geübt worden war, hört sich einfach irre an, aber ich bin längst bereit, auch das nicht mehr für einen schlechten Scherz zu halten. Vieles, was ich anfangs für schlicht erfunden hielt, habe ich im Laufe meiner Reise wirklich vorgefunden. In den Fundgruben der Vergangenheit lagerte Absurdes, Irres, Erschreckendes – vom insgeheim gedruckten Militärgeld bis zu Geruchsproben von Dissidenten in Einweckgläsern, von den westlichen Burberry-Jacken der Politgreise bis zu den schnell mal frisch getünchten
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