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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Mitte.
    Eine wesentliche Erfahrung auf meiner Deutschlandreise: Gebrochene Figuren, die sich nach Niederlagen kurz schüttelten und stur zum zweiten Anlauf antraten, sind im Osten zahlreicher zu finden als im Westen. Wie es Deutschland geht, lässt sich deshalb in den neuen Bundesländern besser beschreiben. Zwar entsprechen mittlerweile die bei vorgeblich »betriebswirtschaftlich nun mal notwendigen Entlassungen« in der alten Bundesrepublik – Nokia, Siemens, BenQ, Maxhütte, Telekom usw. – rein zahlenmäßig denen bei der Privatisierung durch die Treuhand in den neunziger Jahren. Aber das macht die Verhältnisse deshalb keineswegs vergleichbar.
    Deutschland West, faul und fett und satt, hatte es sich zu lange einfach nur gut gehen lassen. Der Glaube, wenn scheinbar nichts mehr gehe, käme irgendwo doch noch ein Lichtlein her, war tief verwurzelt. In Deutschland Ost hatte man sich schon lange daran gewöhnen müssen, dass eh nichts geht. Und sich einst in der DDR in Eigenregie ein Licht angezündet. Sofern es im HO
Kerzen gab. Woran Deutschland krankte, ließ sich drüben früher diagnostizieren. Mag sein, dass die Ostdeutschen trotz aller Frustattacken deshalb inzwischen weiter sind als die Westdeutschen, weil die Behandlung aufgrund ihres real existierenden Siechtums radikaler sein musste.
    Frei nach Jerry Lee Lewis könnte man das kommentieren in den klassisch gewordenen Worten »Top that, Nigger«, mit denen er das Klavier anzündete, bevor er dem anderen Rockstar, Chuck Berry, die Bühne überließ. Und der Nigger wäre in dem Fall eindeutig ein Wessi. Aber das verbiete ich mir selbstverständlich. Das wäre unseriös. Seriös dagegen sind Prognosen, die von zwei ostdeutschen Ministern, den Sozialdemokraten Jens Bullerjahn (Sachsen-Anhalt) und Erwin Sellering (Mecklenburg-Vorpommern), vorgelegt wurden, wonach die Zahl der von Altersarmut bedrohten Rentner im Osten spätestens 2025 dramatisch ansteigen werde, einfach deshalb, weil zu viele Ostdeutsche wegen Arbeitslosigkeit oder niedriger Einkommen unzureichende Ansprüche auf Versorgung aufgebaut hätten und im Alter nur noch die sogenannte Grundsicherung, Rente auf Hartz-IV-Niveau, bekommen würden.
    Im Osten geht bekanntlich die Sonne auf. Das ist unstrittig und war auch vor der Einheit schon so. Damals stand Richard Herrmann, Offizier der Nationalen Volksarmee, zu jeder Jahreszeit in der Sonne.Allein sein Rang warf lange Schatten. Es sei ihm gut gegangen, sagt er, gut im Vergleich zu anderen, aber: »Heute geht es mir wesentlich besser.« Eine verblüffende Aussage für einen, der zu den Führungskräften des Systems gehörte und bei Gott nicht zu den Widerspenstigen, den Kritischen. Ein Mann, der glänzende Aussichten hatte, scheinbar zu noch viel Höherem berufen war, als er 1987, kaum 52 Jahre alt, Stellvertreter des stellvertretenden Ministers für Ökonomie,Wissenschaft und Technik wurde. Bei der feierlichen Ernennung benebelten Herrmann eigenen Angaben zufolge Ehre und Stolz.
    Von diesem Stolz ist er heute weit entfernt. Er hat jetzt einen anderen. Aus dem Genossen Herrmann ist der Unternehmer
Herrmann geworden, und deshalb geht es ihm heute besser als früher. Er hat sich in den vergangenen Jahren etwas Eigenes aufgebaut und damit Erfolg gehabt. Den genießt er. Allerdings genießt er den bescheiden und nicht prahlerisch nach dem plakativen West-Motto: Mein Haus, mein Boot, mein Porsche, meine Frau.
    Bescheidenheit im Erfolg war mir auch aufgefallen bei anderen Gewinnern der Einheit, egal nun, auf welchem Gebiet. Die TV-Moderatorin Maybritt Illner hält sich nicht für die Größte, und ihre Antworten auf Fragen nach Status und Ego und Erfolg klingen so, als würde sie es gern eine Nummer kleiner gedruckt sehen. Gunter Heise, Chef von Rotkäppchen, der ostdeutschen Sektkellerei aus Freyburg an der Saale, wo früher nach einem beliebten DDR-Scherz die Fische ausgesetzt wurden, um im verdreckten Fluss eine Ausbildung als Chemiefacharbeiter zu machen, würde sich hüten, in einer Talkshow dem Volk Ratschläge zu geben, so wie es dieser westdeutsche Kollege gern tut, der mit dem Affen wirbt und seine Trikots nur in Deutschland herstellen lässt. Edgar Most hat als Ossi und Banker gelernt, mit dem Kapital zu tanzen, hat sich um die Einheit verdient gemacht und gut an ihr verdient, vergisst aber nie, wie es anderen erging. Seine beiden Brüder und seine Schwester und viele seiner Freunde haben nach 1990 ihre Arbeit verloren.
    Richard Hermann sitzt

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