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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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einem arroganten Wessi in Person des CDU-Bausenators mal so richtig gezeigt hatte. Der Volksvertreter vertrat tatsächlich das Volk. Sein Erfolg symbolisierte gleichzeitig einen Sieg von denen da unten gegen die da oben. In absoluten Zahlen: 8576 Voten für Czaja, Platz eins mit 329 Stimmen Vorsprung vor der PDS.
    Zwei Jahre später beherrschten der Afghanistankrieg und der Berliner Bankskandal die Schlagzeilen, und das prägte die Stimmungen. Hinzu kam Wahlchancen mindernd in der Person des CDU-Spitzenkandidaten Frank Steffel einer jener Typen aus dem Westen, denen die im Osten zuletzt 1990, damals noch blauäugig, die Tür aufgemacht hatten. Seitdem nicht mehr. Czaja gab Platz eins ab an Gregor Gysi, der mit viertausend Stimmen Vorsprung durchs Ziel ging, schaffte es aber über die Liste wieder ins Parlament.
    Der Stand der deutschen Einheit lässt sich stets gut messen an den herrschenden politischen Temperaturen, hier am Beispiel Berlin und noch präziser in der Nussschale des Bezirks Kaulsdorf-Mahlsdorf, der auf keiner politischen Landkarte zu finden ist. Die Wahlbeteiligung für die hauptstädtischen Wahlen im Jahr 2006 ging auf 64,4 Prozent zurück. Mehr als ein Drittel der Bürger blieben lieber im Plattenbau, weil sie den Glauben, es werde sich etwas ändern, aufgegeben hatten. Ein Trend, der sich bei den folgenden Landtagswahlen, egal, ob im Westen oder im Osten, fortsetzen sollte. Mittlerweile sind Nichtwähler im geeinten Deutschland zur größten Volkspartei geworden, ist in den fünf
neuen Bundesländern aus Politikverdrossenheit eine Demokratieverdrossenheit gewachsen, andernfalls wären die deutschnationalen Rechtsausleger da nicht so erfolgreich wie zuletzt bei den Kommunalwahlen in Sachsen.
    Mario Czaja lud damals seinen Gegner Gregor Gysi, der ja längst ein bundespolitischer Superstar war, zu einer Veranstaltung ein, in der es um Vorörtliches ging und nicht um Krieg oder Frieden oder die Krise der Banken: »Er nahm die Zettel mit den Karteikarten, auf die ich unsere Probleme geschrieben hatte, und sagte sinngemäß: Liebe CDU-Leute, gebt diesem Mann einen guten Listenplatz fürs Parlament, der weiß, worauf es hier ankommt. Daraus entwickelte sich ein faires Verhältnis mit Gysi.« Auch deshalb – aber das sagt er nicht, das interpretiere ich nur -, weil Gysi wie Czaja aus dem Osten stammt und die gemeinsame Sozialisation trotz Altersunterschied offenbar doch stärker ist als jede Parteizugehörigkeit.
    Das hatte ich ja auf meiner Reise schon oft erlebt.
    Weil Czaja im Handbuch des Parlaments als Diplom-Ökonom verzeichnet war, was misstrauische Nachfragen auslöste, lernte der junge Aufsteiger schnell andere Seiten des Erfolgs kennen. Den Neid. Den Absturz. Wer einen Fehler macht, kommt zwar meist damit durch. Wer sich aber bei einem Fehler erwischen lässt, der wird bestraft. Das gilt nicht für alle Fälle, denn würde gleiches Recht für alle gelten, dann hätte es beim Korruptionsskandal Siemens, als dort die Maden aus Germany platzten, früher ein Ermittlungsverfahren gegen Heinrich von Pierer gegeben, den typischen Vertreter der angeblich ehrenwerten Gesellschaft Deutschland AG. Dann hätten die ermittelnden Staatsanwälte in Leipzig vielleicht doch mal ein paar hochrangige Politiker und Juristen verhören müssen, bevor sie die Akten schlossen.
    Hätte und wäre und müsste und sollte und so weiter. Aber das Leben ist nun mal kein Konjunktiv. Allenfalls eine Baustelle.
    Für die hatte sich Mario, der Wahlzauberer, was ausgedacht, was ihn bedeutender aussehen ließ. Ein ökonomisches Diplom an einer Universität in St. Gallen. Die war allerdings Fachleuten
höchst suspekt, weil man dort akademische Abschlüsse angeblich nicht nur durch erbrachte Leistung erwerben konnte, sondern auch mittels diskreter Überweisungen.
    Der Ossi wurde von dieser Enthüllung kalt erwischt. Dass sich darüber politische Gegner nicht nur in anderen Parteien klammheimlich freuten, sondern auch die in der eigenen ihm die Grube gruben, weil er ihnen einst ja als leuchtendes Vorbild gepriesen worden war, weiß er heute. Damals hat es ihn verstört. Er musste sich öffentlich entschuldigen dafür, dass er »in meinen stürmischen Jugendjahren versäumte, das Gymnasium mit einem Abiturzeugnis zu verlassen«, wie er sich umständlich ausdrückte. Man könnte es auch einfacher sagen: Er hat keine Lust gehabt zu lernen und lieber die Freuden des freien Lebens genossen. »Durch Inserate wurde ich auf die Freie

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