Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
Vom Netzwerk:
Gleichberechtigung der Frau in der DDR, hatte allerdings kaum etwas gemein mit jener Emanzipation, wie sie im anderen Teil Deutschlands gegen die Männer erstritten und durchgesetzt wurde, dem Grundrecht der Frauen, in Eigenverantwortung
frei über sich und frei für sich entscheiden zu können. Im täglichen Kampf für den stets unmittelbar bevorstehenden Sieg des Sozialismus brauchte man ganz einfach jede Arbeitskraft. Die Gleichberechtigung Ost war deshalb nicht ein selbstverständliches Grundrecht – das es drüben eh nur auf dem Papier gab -, sondern eher eine Grundpflicht.
    Es ist also nur Statistik und hat nichts mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu tun, dass in der einstigen DDR neunzig Prozent der Frauen erwerbstätig waren und im Westen nur vierzig Prozent. Die Arbeit drüben, in der sie qua Anordnung und nach Bedarf eingesetzt wurden – Brigadeleiterin, Kranführerin, Traktorfahrerin -, war eine ganz andere als die in den als typisch weiblich geltenden Berufen des Westens als Krankenschwester, Friseuse, Kellnerin. Aber das Sein prägte nun mal das Bewusstsein. Was Frauen im Osten von denen im Westen unterschied, war die Erfahrung, in Männerberufen selbstverständlich die gleichen Pflichten zu haben wie die Kerle. Davon leiteten sie Ansprüche ab, nahmen sich das Recht heraus, gleich behandelt zu werden.
    Mutti Ost, oft allein erziehend, da sie zur Versorgung den biologischen Vater nicht brauchte, weil Vater Staat sich um sie kümmerte, gab vor Arbeitsbeginn ihre Kinder in einer Kindertagesstätte ab. Die kostenfreie Betreuung in den Kitas gehörte zum sozialistischen Modell der Rundumversorgung. Die so von Sorgen um die Kinder befreiten Mütter erhielten für gleiche Arbeit den gleichen Lohn und regelmäßig am internationalen Frauentag, dem 8. März, rote Nelken vom Kollektiv. Frauen stellten in der Gesamtbevölkerung Ost mit 53 Prozent sogar die Mehrheit, doch der Aufstieg in politische Spitzenpositionen blieb ihnen wie auch ihren Schwestern im Westen versagt.
    Die eigentliche Macht kungelte am Tisch des Politbüros. Und an diesem Tisch saß in den vierzig Jahren der SED-Herrschaft niemals eine Frau. Einzige Frau im Ministerrat war Margot Honecker, zuständig für Volksbildung. »Unsere Republik braucht alle Frauen – alle Frauen brauchen unsere Politik«, lautete eine jener
simplen Parolen, mit denen die SED das Volk beglückte. Was sie in Wirklichkeit brauchte, war deren Arbeitskraft für die Umsetzung ihrer Politik, aber brauchten die Frauen diese Politik?
    Es ist also durch Fakten Ost nicht begründbar, dass eine Frau wie die Bundeskanzlerin mit ihren männlichen Konkurrenten in der CDU des Westens deshalb so gut fertig wurde, weil sie mit den Spielregeln der Männerwelt vertraut war und sich vom Auftreten der Alphatiere nicht beeindrucken ließ. Der oft aufgehaltene, aber dennoch unaufhaltsame Aufstieg von Angela Merkel darf zwar als Erfolg einer Frau in einer Männerwelt, aber vor allem als Sieg der Demokratie betrachtet werden. Es sind besondere Führungsqualitäten, die Hans-Joachim Maaz als typische Eigenschaften der heutigen Bundeskanzlerin sieht und mit denen sich begründen ließe, warum sie sich in der CDU durchgesetzt hat, wo der Kampf um Macht nach dem klassischen Muster von Männerbünden stattfand und Frauen nie mitspielen durften.
    Die starken Söhne des Patriarchen Helmut Kohl wurden von ihm als potenziell gefährlich weggedrängt, die schwachen von seiner Gnade abhängig gemacht. Von Kohl gönnerhaft »mein Mädchen« genannt, schwieg Angela Merkel lange mädchenhaft, täuschte damit die Männer, die sie lange nicht ernst nahmen und spät merkten, zu spät, dass die ostdeutsche Physikerin ihnen taktisch überlegen war. Maaz: »Sich anzustrengen und ihre Fähigkeiten umzusetzen ist für sie selbstverständlich. Machen Männer ja auch. Dazu kommen früh geübtes Misstrauen und Vorsicht, das war in der DDR lebensnotwendig.« Aufgrund dieser Erfahrungen habe sie ein Gespür entwickelt, in bestimmten Situationen zu handeln, statt abzuwarten, oder abzuwarten, statt zu handeln. Und es deshalb im richtigen Moment gewagt, sich gegen den Übervater Kohl zu stellen, was sich keiner der Männer getraut hatte. Das »weibliche Selbstverständnis der Ostfrau« habe ihr zwar geholfen, aber mehr noch das, was Maaz zu den charakteristischen Eigenschaften seiner Landsleute zählt: »Neben den massenpsychologischen Folgen eines autoritären Systems wie dem der DDR entstehen aus

Weitere Kostenlose Bücher