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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Inszenierungen hat er früh einen Sinn entwickelt, denn er stammt aus einer Schauspielerfamilie. Sein Vater Carl gehörte zum Ensemble des fünfzig Meter von Voscheraus Kontor entfernten Thalia-Theaters, in dem der ehemalige Bürgermeister Hamburgs keine Neuinszenierung versäumt.Vogel habe denVorschlag aus moralischen Gründen sofort abgelehnt, eben wegen der Zwangsvereinigung 1946 mit den Kommunisten zur Sozialistischen Einheitspartei, was Sozialdemokraten niemals vergessen dürften. Zu viele ihrer Genossen sind von den sozialistischen Einheitsgenossen eingesperrt worden, manche sogar in den Lagern, in denen sie bereits unter den Nazis saßen. Mit den Nachfolgern der SED sei deshalb jede Gemeinsamkeit ausgeschlossen. Außerdem gab es im Parteivorstand der SPD in Bonn, erinnert sich Voscherau, noch welche, die von einem dritten Weg faselten und an einer denkbaren Einheit kein Interesse zeigten.
    Voscherau nennt die Absage eine »historische Schlappe, deren Nachwirkungen bis heute in den Wahlergebnissen der SPD drüben abzulesen sind«, und Egon Bahr ergänzt bitter: »Die anderen haben einfach alle von den Blockparteien übernommen, nur wir haben uns verweigert.« Dabei hätte man sich auf Willy Brandt berufen können. Der hatte vorgeschlagen, dass jeder, der »unser Programm bejaht und keine Verbrechen begangen hat, erhobenen Hauptes zu uns kommen könnte«.Vogel hatte ehrenwerte Gründe, Nein zu sagen, und die lagen nicht nur in der unbewältigten Vergangenheit. Er wollte die frischen Ostgenossen davor schützen, geschluckt zu werden.
    Bürgerrechtler wie Markus Meckel von der SDP waren dagegen, weil sie so kurz nach dem Umbruch keinen der Wendehälse, zu denen sie den SED-Funktionär Berghofer rechneten, in ihrer Partei dulden wollten. Außerdem ahnten sie, dass sie gegen Berghofers Popularität als Reformer keine Chance hätten, eigenes
Profil zu entwickeln oder gar Wahlen zu gewinnen.Vor allem ihr späterer Spitzenkandidat Ibrahim Böhme lehnte jede Zusammenarbeit ab. Sein Wort hatte mehr Gewicht, denn er galt noch als Lichtgestalt und deshalb als Favorit für das Amt des ersten frei gewählten Ministerpräsidenten.
    Die Wahl verlor die SPD, wie sie dann auch drüben hieß; sie erreichte nur 21,7 Prozent aller abgegebenen Stimmen. Am wenigsten erzielten die Sozialdemokraten in der Heimat Berghofers, wo sie auf nur 9,7 Prozent kamen. Kurz danach wurde vom »Spiegel« enthüllt, dass Ibrahim Böhme ein langjähriger Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen und sein Veto gegen die Aufnahme von SED-Mitgliedern in die SPD wohl nicht von moralischen Motiven bestimmt, sondern von ganz anderen gesteuert war.
    So weit die Geschichte von der vergebenen Chance der SPD, sich als Volkspartei im Osten zu etablieren. Henning Voscherau hat die Absage seiner Partei bedauert, hat sie für falsch gehalten, aber als kühler Notar die Entscheidung seinem Kollegen Berghofer mitgeteilt. Und ihm gleichzeitig den dringenden Rat gegeben, sich vor der Umbenennung der SED in SED-PDS von der Partei zu verabschieden und sich erst recht nicht zum Vorsitzenden wählen zu lassen, was viele der alten DDR-Genossen wollten. Berghofer hielt sich nicht an den Rat, wurde stattdessen mit einem Ergebnis von 98,3 Prozent der Stimmen, was an Ergebnisse vergangener Parteitage erinnerte, zum Stellvertreter des Vorsitzenden Gregor Gysi gewählt.Voscherau hielt das für »eine dramatische Fehlentscheidung«, was Berghofer heute auch so sieht, aber nach Tische sei man halt klüger. Immerhin verließ er wenige Wochen danach im Januar 1990 zusammen mit einer Gruppe Dresdner Genossen die Partei.
    Die Begründung ist denkwürdig, kritisch und selbstkritisch zugleich: »Die alte SED und ihre Führung haben die DDR in beschämender und unverantwortlicher Weise ruiniert, politisch, wirtschaftlich und moralisch. Jeder Versuch, mit der Erblast in dieser Partei neue Wege zu gehen, verstärkt die Angst vieler Menschen
vor einer Restaurierung der SED. In tiefer Sorge um unser Land erklären wir, die Unterzeichnenden, unseren Austritt aus der SED-PDS. Mit diesem Schritt verbinden wir die dringliche Forderung, die SED-PDS aufzulösen. Wir wollen uns mit dem Parteiaustritt nicht der Mitverantwortung für die Vergangenheit entziehen.Wir wollen mitwirken an der demokratischen Erneuerung.«
    Wie die begann, das hatte Henning Voscherau so hautnah erlebt, dass ihm noch heute jede Einzelheit präsent ist. Zusammen mit rund tausend Hamburgern, die fast alle »sofort nach der

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