Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
wegen angeblicher Steuerhinterziehung zu einer hohen Haftstrafe verurteilt worden war. Es dauerte ein Jahrzehnt, bis Lothar de Maizière es unter dann rechtsstaatlichen Bedingungen geschafft hatte, dass von der Bundesrepublik eine Entschädigung bezahlt wurde.
Gerechtigkeit würde er das nicht nennen. Sein Mandant hat das Urteil nicht mehr erlebt. Der Mann, der moralisch gesehen schuldig ist an der Zerstörung des Lebens von Werner Schwarz,
ist heute ein Profiteur der deutschen Einheit. Er besitzt in der Nähe von Potsdam eine Ferienanlage und wird von den örtlichen Honoratioren gefeiert, weil er Arbeitsplätze geschaffen hat. Auch er wird mir noch eine Reise wert sein.
Einmal in jenen wilden Tagen seiner Amtszeit als Ministerpräsident, als der heute vom Nikotin befreite Jurist noch kettenrauchend Akten in sich hineinfraß, als er sich nur selten eine Mittagspause gönnte, um auf seiner geliebten Bratsche zu üben, als sein Körpergewicht kontinuierlich sank von anfangs 65 auf 52 Kilogramm, bis ihm endlich am 3. Oktober 1990 Helmut Kohl die Last des Regierens abnahm, hat er den spanischen Botschafter in Ostberlin gefragt, wie sie es geschafft hätten, dass nach dem Sturz des Diktators Franco kein Bürgerkrieg zwischen Demokraten und Franco-Anhängern ausgebrochen sei.
Durch eine Generalamnestie, hat der geantwortet, eine Amnestie für Mitläufer des Faschistenregimes. Das war ein weiser Akt der Versöhnung, so wie ihnen, den Deutschen, es einst Adenauer in politischer Weisheit ermöglicht habe, die vielen kleinen Nazis, die ja auch nicht alle über Nacht zu Demokraten geworden waren, in die Bundesrepublik zu integrieren.Verfolgt wurden in Spanien nur Mörder und Folterer, denn das war unstrittig bei allen. »Aber wir sind Katholiken«, habe Seine Exzellenz hinzugefügt, »ihr deutschen Protestanten werdet bestimmt rigoros alles aufarbeiten, bei euch wird das nicht klappen.« Der Mann behielt recht, so geschah es. De Maizière: »In der Tat, eine Amnestie au ßer für Mord und Folter, für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wäre wichtig gewesen, um Rechtsfrieden zu schaffen.« Doch warum dies nicht geschah, ist eine andere Geschichte und gehört in ein anderes Kapitel.
Als Ministerpräsident der bleichen Mutter DDR, um deren Krankenbett sich bereits die Leichenbestatter aus dem Westen scharten, verdiente Lothar de Maizière im Monat 3500 Mark, seine Minister bekamen 2500 überwiesen. Dafür hätte in der damaligen Hauptstadt Bonn im Westen nicht mal ein Pförtner gearbeitet. Er und seine Kabinettskollegen waren Volksvertreter, dem
Volk erging es nicht besser als ihnen. De Maizière erzählt es mir emotionslos, er neigt nicht zum Jammern über Vergangenes.
Dass viele seiner Landsleute heute verstört sind wie Kinder, die sich in einer Welt der Erwachsenen nicht zurechtfinden, kann er an einem plastischen Beispiel erklären. Er ist im Erfinden von Gleichnissen ebenso gut wie Richard Schröder oder Gregor Gysi. Wahrscheinlich verbindet die Männer auch diese Gabe, in Bildern zu reden. Die Ostdeutschen, sagt er – und die Ironie ist dabei wieder seine Geliebte -, haben sich zwar vom gestrengen Vater Staat befreit, mutig und ohne Angst vor möglichen Folgen, aber im gleichen Atemzug die fürsorgliche Mutter verloren, die sie wärmte, Mutter Mief nämlich. Seitdem fühlten sie sich als Vollwaisen, und dieser Seelenzustand prägt sie bis heute als Erwachsene.
Die Vollwaisen könnten aber, ungeachtet ihrer politischen Neigungen, auf eine Mutter der Nation hinweisen, Angela Merkel, die zu ihnen gehört, bei ihnen aufgewachsen ist, eine von ihnen ist. Zum ersten Mal in der Geschichte regiert eine Frau das Land, und die kommt zudem aus der ehemaligen DDR. Ein besseres Beispiel für die verwirklichte Einheit der Nation als diesen Aufstieg der stellvertretenden Sprecherin des letzten DDR-Regierungschefs zur Kanzlerin des vereinten Deutschland kann es doch gar nicht geben. Ist ausgerechnet in ihrer Person etwas zusammengewachsen, was zusammengehört?
Frauen aus dem Osten haben früh gelernt, ihren Mann zu stehen, weil ihre Arbeitskraft in der Planwirtschaft gebraucht wurde. Es sei eine der »größten Errungenschaften des Sozialismus, die Gleichberechtigung der Frau in unserem Staat sowohl gesetzlich als auch im Leben weitgehend verwirklicht zu haben«, behauptete Erich Honecker schon 1971, »kein kapitalistisches Land der Erde« könne Gleiches von sich behaupten. Dieser scheinbare Fortschritt, die
Weitere Kostenlose Bücher