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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Parteibezirke war ein Instrukteur zuständig. Es gab deshalb fünfzehn Bezirksbeauftragte. Schriftliches hatten die Botschafter Honeckers zwar dabei, wenn sie die Bezirke heimsuchten im Namen ihres Herrn, aber die als geheime Kommandosachen eingestuften Papiere sammelten sie regelmäßig wieder ein. Unterstellt waren sie direkt dem Generalsekretär. Die Organisation ihrer Reisen und die Kontrolle über ihre Aufträge unterstanden dem für die Parteiorgane zuständigen Politbüromitglied Horst Dohlus. Dokumente wurden im SED-Parteiarchiv in Berlin gesammelt. Als Berghofer, der sich »natürlich dafür interessierte«, bei der Vorbereitung des SED-Sonderparteitages, an dem teilzunehmen ihm der Hamburger Städtepartner Henning
Voscherau ja so dringend abgeraten hatte, unter D wie »Dresden« danach suchte, war bereits alles vernichtet.
    Wer will das heute noch so genau wissen?
    Ich.
    Um vielleicht doch noch erfahren zu können, was die Führung unternommen hätte, wäre sie noch handlungsfähig und Honecker gesund gewesen, gehe ich bei meinen Reisen auf den heute sichtbaren Spuren der deutschen Einheit immer wieder in die Vergangenheit zurück. Erst mit dem Wissen über damalige Ereignisse wird klar, warum manche von denen, die heute als Unverbesserliche gelten, einst Hoffnungsträger waren.
    Hans Modrow zum Beispiel war nie ein lupenreiner Demokrat, war zu lange ein treuer Diener seines Staates. Im Gegensatz zu den Parteibonzen im abgeschirmten Funktionärsghetto Wandlitz bei Berlin aber war er nicht korrumpierbar durch die Annehmlichkeiten der Macht. Nicht das Gehalt Erich Honeckers, 8000 Mark, des Liebhabers von gepökeltem Kassler und Videosoftpornos, oder das seiner Politbürokraten – zwischen 4000 und 6000 Mark – ist weiterer Nachrede wert, sondern ihre besonderen Wünsche, die sich aufgrund der eigenen Mangelwirtschaft nur im Westen erfüllen ließen. Zuständig dafür war die Firma Letex unter dem Dach der von Alexander Schalck-Golodkowski geleiteten KoKo. Für die Versorgung der Spitzengenossen standen jährlich sieben Millionen harte D-Mark zur Verfügung.
    Manchmal musste es so schnell gehen mit den Einkäufen drüben in Westberlin, dass keine Zeit blieb, die Spuren des Klassenfeindes vom Kragen zu entfernen. Erich Honecker wünschte sich einmal spontan für die jährliche Kundgebung zum Gedenken an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht eine warme dicke Jacke in Grün. Die wurde besorgt. Stolz trug er sie. Vergessen worden war in der Eile allerdings, das sichtbare B zu entfernen, das Markenzeichen für Bogner.
    Modrow trug nur das, was man vor Ort erwerben konnte. Modrow fiel nicht auf unter den Genossen im Bezirk Dresden. Modrow war einer von ihnen. Man nannte ihn den »ehrlichen Hans«.
Was indirekt auch Altkanzler Helmut Kohl in seinen Erinnerungen bestätigt, der den letzten Regierungschef mit SED-Parteibuch sogar lobt für seine »pragmatische Politik und den Versuch, die alltäglichen Sorgen und Nöte der Leute zu mildern«.
    Modrow wusste selbstverständlich alles vom Innenleben der Macht und selbstverständlich auch, was sich die Partei unter einem passenden Wahlergebnis vorstellte. Unvorstellbar deshalb, dass die Dresdner Kommunalwahl vom Mai 1989, für deren Fälschung Berghofer im zweiten Jahr der Einheit vor Gericht stand, ohne Modrows Mitwissen manipuliert worden ist. Gefälscht wurde ausnahmslos und immer in der ganzen DDR. Unvergessen eine Fernsehansprache von Egon Krenz, Leiter der Zentralen Wahlkommission, in der er im Mai 1989 rund 99 Prozent Ja-Stimmen verkündete und mit verlogenem Grinsen tief gerührt den Wählern für ihr damit bewiesenes Vertrauen in die Führung dankte. Was über vier Jahrzehnte DDR resigniert oder in ohnmächtiger Wut hingenommen wurde, gefälschte Wahlergebnisse, verlief sich diesmal nicht im Ungefähren. Die von Egon Krenz Gelobten merkten sich den Heuchler. Sie würden es ihm heimzahlen. Nicht irgendwann, sondern bald.
    Gelogen wurde bei Wahlen natürlich auch in Dresden. Und zwar so lange, bis denen im »Großen Haus«, wie der Sitz des Zentralkomitees im Parteijargon hieß, das vorgeschlagene Ergebnis von 97,81 Prozent Wahlbeteiligung bei 2,51 Prozent Gegenstimmen ins Weltbild passte. So etwa sah es bei der letzten Kommunalwahl aus. Arnold Vaatz schätzt aufgrund der Erkenntnisse unabhängiger Wahlbeobachter aus den Kirchengemeinden, dass am 7. Mai 1989 tatsächlich wohl rund vierzig Prozent der Wähler in Dresden die Kandidaten der SED

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