Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
Vom Netzwerk:
Partei ins Amt eingesetzte Oberbürgermeister Dresdens, geboren in Bautzen, Sohn einer Republikflüchtigen, aufgewachsen bei sozialdemokratisch geprägten Großeltern, Diplomhistoriker und hauptamtlicher FDJ-Funktionär, bis Ende 1981 bei der Staatssicherheit als IM »Falk« geführt und danach wegen Obstruktion vom MfS »abgeschaltet«, wie das in deren Amtsjargon hieß – »Bei gezielten Fragen täuscht er Unkenntnis vor oder versucht zu bagatellisieren« -, hat sich nach seinem Austritt aus der SED im Januar 1990 aufgemacht in die Marktwirtschaft. Berghofer ist längst im neuen Deutschland angekommen. Er verdient sein Geld als Vorstandschef der »Betrieblichen Versorgungswerke für Unternehmen und Kommunen«, kann seine zwischen 1986 und 1990 in einer wenn auch baufälligen Kommune gesammelten Erfahrungen sinnvoll einsetzen, weil er sich mit den Problemen einer Stadt und derVersorgung ihrer Angestellten und Betriebe auskennt.
    Die sind anderer Natur als jene, die er damals hatte. Zum Beispiel war er über die Versorgungslage des baufälligen Elbflorenz so verzweifelt, dass ihm auch wahnwitzige Ideen eine Alternative zum desolaten Zustand seiner Stadt zu sein schienen. Berghofer ließ die in Friseurgeschäften abgeschnittenen Haare aufsammeln, um sie im Westen als Rohstoff für Perücken zu verkaufen, vermittelt alles vom mächtigen Leiter der Kommerziellen Koordinierung, Alexander Schalck-Golodkowski, der ihm dank seiner Kontakte schon mal eine dringend benötigte Schneefräse besorgt hatte. Er bot über denselben Kanal Porzellan und Silber aus den Depots der Städtischen Museen an, dafür wollte er fürs Rathaus endlich wenigstens einen funktionierenden Personalcomputer samt Drucker erwerben und, falls die Erlöse reichten, einen gebrauchten Transporter für die Müllabfuhr.
    Seine frühere Biografie lässt Wolfgang Berghofer nicht los. Im letzten Lebensdrittel will der 65-Jährige jedoch vor allem mit Legenden der SED-Geschichte aufräumen. Dass er sich damit Feinde unter den ehemaligen Freunden schafft, ist ihm egal.
    Hätte Erich Honecker denn einen solchen Schießbefehl durchsetzen können, falls er nicht an Krebs erkrankt und seine Verweildauer im Amt dadurch nicht absehbar gewesen wäre? Hätten die Generäle unter anderen Umständen seiner Anregung, zur Abschreckung ein paar Panzer durch die Straßen rollen zu lassen, Folge geleistet? Sein Wort galt zwar lange Zeit als Befehl, doch im Herbst 1989 gab es die DDR fast nicht mehr, und das wussten natürlich auch alle, die sie mit zugrunde gerichtet hatten. »Der Inhalt der Entscheidungen am 8. Oktober in Dresden entsprach nicht mehr den zentralen Weisungen«, drückt sich Hans Modrow etwas gewunden aus, womit er wohl die damaligen Tagesbefehle aus Berlin meint, härter durchzugreifen, aber das ist seine Art, und was er damit meint, wird dennoch klar. Er stellte sich gegen das Politbüro in Berlin.
    Sein damaliger und heutiger Parteifreund Gregor Gysi hat mir erzählt, was ihm Egon Krenz gesagt hatte. Dass man ja durchaus bei fünftausend Demonstranten Gewalt hätte anwenden können,
was dann in der Tat eine besondere Wende gewesen wäre, aber eben nicht bei Zehntausenden, bald Hunderttausenden, die auf die Straße gingen. Und er, Krenz, sei es gewesen, er allein, der dem Innenminister und Chef der Volkspolizei, Friedrich Dickel, bereits im Oktober gesagt habe, falls Honecker einen Schießbefehl geben würde, dann befolgt ihr den auf keinen Fall. Andere hätten jetzt zu entscheiden, nicht mehr der kranke sture Alte. Andere wie er zum Beispiel.
    Noch funktionierten allerdings die besonderen Funktionäre des Ancien Régime. Die gehörten als Schattenmänner zum inneren Kreis der Macht und standen in keinem behördlichen Telefonverzeichnis. Im Jargon der Herrschenden wurden sie Instrukteure genannt, was ihre eigentliche Aufgabe immerhin präzise bezeichnete: Sie hatten die Herzöge, also die Bezirkssekretäre, direkt darüber zu instruieren, was der König, also Generalsekretär Erich Honecker, dachte, wollte, befahl. Solche Gespräche hinter verschlossenen Türen dauerten in der Regel zwei, drei Stunden. Zunächst wurde den Parteikadern mündlich erläutert, was Berlin von ihnen erwartete, danach durften sie ein entsprechendes Dokument lesen und mussten es mit der Bemerkung »Zur Kenntnis genommen« unterschreiben. Anschließend verstaute es der Bote in seiner Aktentasche und verabschiedete sich bis zum nächsten Besuch.
    Für jeden der fünfzehn

Weitere Kostenlose Bücher