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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee verweigerte und deswegen im Knast saß. Sein Redeschwall ist kaum zu stoppen. Damals hielt er es nicht für wichtig, aber heute ist er überzeugt davon, dass in Dresden die »Überlebensfähigkeit des Systems gebrochen wurde. Ich gönn denen in Leipzig ja ihren Status als Heldenstadt, aber das hat sich bei denen Schritt für Schritt aus der Tradition ihrer Montagsgebete entwickelt, wo anfangs schweigend demonstriert wurde. Bei uns geschah das alles innerhalb weniger Tage und ziemlich laut.«
    Als sich in der Tat das Volk in atemloser Geschwindigkeit von der Gegenwart abwendete, um endlich eine Zukunft zu finden, glaubte Erich Honecker noch an die bewährten Methoden aus der Vergangenheit. An Gewalt. Er war zur Peking-Lösung entschlossen, um die Unruhen ein für alle Mal zu beenden und die Störenfriede ruhig zu stellen. Dass es dabei Tote geben könnte, nahm er offenbar in Kauf. Nichts anderes war mit »Peking-Lösung« gemeint. So nannten er und seine Gesinnungsgenossen im Politbüro jene blutigen Ereignisse vom Sommer, als die chinesische KP-Führung den Protest von Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens von Panzern ersticken ließ. Honecker machte kein Geheimnis daraus, dass er eine derartige Antwort
auf die drängenden Fragen des Volkes für passend hielt. Die Anwendung der Schusswaffe war der Armee und den Passkontrolleinheiten des MfS zwar per Befehl im April 1989 untersagt worden, doch der Befehl galt nur bei der Verhinderung sogenannter »Grenzdurchbrüche«.
    Sein Kronprinz Egon Krenz war nach einem brüderlichen Solidaritätstrip an den Ort des blutigen Geschehens der Meinung des Königs, wie der in dunklen, jedoch unmissverständlichen Andeutungen. Was in China passiert, sei »nur etwas, was die Ordnung wiederherstellt«. Auch Erich Mielke, nach seinem gestammelten Satz vor der Volkskammer »Aber ich liebe euch doch alle« Ende 1989 ebenfalls auf dem Müllhaufen der Geschichte landend, glaubte noch an eine ganz andere Wende. Er war dafür, den Ausnahmezustand auszurufen und dann aufzuräumen mit allen Mitteln.
    Während sich nicht nur in Dresden und Leipzig, sondern auch in Provinzstädten wie Plauen die Aufläufe zur demokratischen Massenbewegung entwickelten, weil dort die ersten Flüchtlingszüge aus Prag durchgefahren waren, während dasVolk den »Schritt von der Ohnmacht zur Macht« (Gauck) wagte, hatte Erich Honecker in Berlin eine chinesische Parteidelegation empfangen und mit ihr »volle Übereinstimmung in den wichtigen Lebensfragen der Menschheit« erzielt. Ohne Genehmigung hätte die gleichgeschaltete DDR-Presse die versteckten Hinweise auf eine ganz bestimmte »Lösung« in bedrohlichem Unterton nicht zu drucken gewagt. Im SED-Zentralorgan »Neues Deutschland« stand deshalb, eine »grundsätzliche Lehre aus dem konterrevolutionären Aufruhr in Peking sowie der gegenwärtigen Hetzkampagne gegen die DDR« bestehe darin, »unbeirrt an den Grundwerten des Sozialismus festzuhalten«. Das aber könne nur mit »Durchsetzung der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei geschehen«. Da man in der Diktatur gelernt hatte, zwischen den Zeilen zu lesen, wo die eigentlichen Botschaften versteckt waren, wussten die Leser Bescheid.
    Honecker hatte zuvor bei einer Sitzung des Politbüros das
leuchtende Beispiel China nicht nur theoretisch als mögliche Reaktion des Staates erwähnt, der oberste Funktionär hatte wohl tatsächlich befohlen zu schießen. »Dies zu belegen«, sagt Wolfgang Berghofer, erhebt sich hinter seinem Schreibtisch, der nicht mehr in Dresden, sondern in Berlin steht, geht ein paar Schritte zu einem der großen farbigen Gemälde an der Wand, setzt sich wieder hin, beugt sich vor, als wolle er sich überzeugen, dass ich mir jedes Wort merke und vor allem die richtigen Schlüsse daraus ziehe, »ist allerdings schwierig, weil es keine schriftlichen Dokumente gibt.«
    Eine Schlussfolgerung kann sein, dass alle, die es wissen müssten, bisher geschwiegen haben. Und die andere? Es dürfte kein Zufall sein, dass nicht nur in Leipzig oder Dresden, sondern auf allen Bezirksebenen der SED ausgerechnet die Unterlagen der Einsatzleitungen für den Monat Oktober fehlen. Aktenvernichtung als politische Strategie haben die Kader früh als Teil der ihnen auferlegten kommunistischen Wachsamkeit gelernt, ebenso, keine schriftlichen Informationen niederzulegen, die dem Gegner nützen können.
    Der nie gewählte, sondern wie üblich von der

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