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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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mehr sehen wollte. Sechzig der insgesamt 330 bei ihnen registrierten Arbeitslosen, die offenbar merkten, es wird möglicherweise ernst mit einem Job, ließen sich aus der Datei streichen. So entdeckten sie ganz nebenbei die Faulen unter ihren Kunden. Schwarzarbeit im Osten, weiß Edgar Most, ehemaliger Vizepräsident der Staatsbank und nach dem Umbruch Chef der Deutschen Bank in Berlin, ist nicht nur weit verbreitet, die gilt auch als normal. Man habe sich einst in der DDR während der regulären Arbeitszeit acht Stunden ausgeruht und dann nach Feierabend schwarzgearbeitet: »Die Leute sind darin einfach trainiert.« Unrechtsbewusstsein fehle ihnen auch, schließlich seien viele von ihnen ohne eigene Schuld nach 1990 arbeitslos geworden.
    Einhundertundsechs Kandidaten blieben schließlich übrig für den Modellversuch Bad Schmiedeberg. Denen wurde schriftlich mitgeteilt, es gebe was zu tun für sie. Allerdings wurde im Schreiben nicht erläutert, um welche Art Arbeit es sich handelte.
    Auch dies war ein Test: Waren die Angeschrieben neugierig genug, um sich zu melden? Hatten sie Lust auf Arbeit, egal, welcher Art? Oder überwog die Sorge, es werde sich eh wieder nur um einen 1-Euro-Job handeln, um sie irgendwie zu beschäftigen, obwohl man, was sie machten, eigentlich nicht brauchte? Im Landkreis Wittenberg kommen auf dreihundert offene Stellen etwa zehntausend Bewerbungen.
    Die Neugier siegte. Als die Kunden erfuhren, dass es 800 Euro geben würde und die angebotene Arbeit zudem sinnvoll war und eventuell Chancen bestünden, in den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln, begruben sie den alltäglichen Frust, an den sie sich schon gewöhnt hatten. Im Altenheim zum Beispiel arbeiten jetzt zwei Frauen, nicht in der Pflege, sondern als Betreuerinnen, als menschliche Faktoren, als Seel-Sorgerinnen, die sich mit den Bewohnern unterhalten, sie beschäftigen, ihnen einfach nur zuhören. Eine der beiden war seit 1999 arbeitslos, die andere immer wieder mit ABM-Maßnahmen beschäftigt wie Steine klopfen für den Straßenbau. Irgendwann aber waren alle Straßen gebaut. Im Augustinuswerk sind inzwischen zwölf Bürgerarbeiterinnen beschäftigt. Andere pflegen die städtischen Grünanlagen oder arbeiten in der Behindertenwerkstatt mit, halten die Löschfahrzeuge der Feuerwehr instand oder kümmern sich als Hausmeister um städtische Immobilien.
    Natürlich mussten die Macher auch Jobs erfinden, an die bisher noch niemand gedacht hatte. Könnten sich vielleicht Kurgäste des örtlichen Moorbads für die Kirche interessieren und gar dankbar sein, dass ihnen jemand aufschloss und bei einer Führung die Geschichte des Gotteshauses nahebrachte? Ja, war so. Eine bis dahin arbeitslose ehemalige Sekretärin führt durch die Kirche.Wer sonst außer einer kundigen Einheimischen hätte den Besuchern erzählen können, dass sich hinter den Butzenscheiben
einst die beheizbare Loge der Ratsherren von Bad Schmiedeberg befand, in der die während des Gottesdienstes saßen, und dass in der heutigen Zeit die örtliche Rockband dort ihre Proben abhält? Die bis dahin arbeitlose Bibliothekarin setzt ihre Fähigkeiten ein, die lange niemand mehr abgefordert hatte, um eine Chronik der Kirche und der Stadt zu erstellen. Die Kirche fasst tausend Gläubige, aber so voll ist es nur noch an Weihnachten. An den normalen Tagen des Herrn kommen sonntags allenfalls noch fünfzig Leute zur Messe, und weil es da seltsam anmuten würde, wenn der Pastor auf die Kanzel steigt und von oben herab predigt, bleibt er unten und redet mit ihnen auf Augenhöhe.
    Grundsätzlich müssen es »arbeitsmarktferne Bereiche« sein, in denen sie beschäftigt sind.Verlangt werden dreißig Arbeitsstunden pro Woche und noch einmal acht Stunden Teilnahme an einer Fortbildung. Einige wenige haben den Modellversuch im aufrechten Gang verlassen, weil sie einen festen Job in der Privatwirtschaft fanden. Auch die beiden Projektmanager, die das Unternehmen begleiten und organisieren, waren davor arbeitslos, und auch sie haben jetzt wieder eine Perspektive. Das Wunder ist kein großes, stimmt, es ist nur ein kleines, richtig, wird auch nichts verbessern an drohender Altersarmut einer Generation über vierzig, die aufgrund gebrochener Arbeitsbiografien nicht genug in die Rentenkassen hat einzahlen können, die auf staatliche Hilfe angewiesen sein wird. Ist ebenfalls auch keine probate Lösung für die Jungen, die entweder längst weggezogen sind oder zunächst mal richtige Arbeit finden müssen,

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