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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Verhältnis der Geschwister in der deutschen Großfamilie nichts ändern.
    Angesichts der westlichen Klagen über die Unersättlichkeit der Ossis wird selbst der Christenmensch Richard Schröder zynisch. Er hat eine überraschende Lösung des Problems parat: Würde sich morgen die Erde öffnen und »Ostdeutschland mit Mann und Maus verschlingen, würden wir jährlich 120 Milliarden Euro sparen, zumal Grabpflegekosten nicht anfallen würden«. Ob die wirtschaftlichen Probleme leichter zu lösen seien als die psychologischen, obwohl die nicht in Transfers messbar sind, fragte der Historiker Fritz Stern schon 1993 bei einer Veranstaltung des German American Council den amtierenden Kanzler der Einheit. Helmut Kohls ausschweifend lange Antwort endete mit einer Bemerkung, die Stern verblüffte und die er sich deshalb wörtlich notierte: »Der Gedanke, dass alles bei uns richtig war und alles falsch bei denen, ist idiotisch.« Originalton Kohl.
Es wäre, ergänzt Fritz Stern, dringend notwendig gewesen, hätte Kohl so etwas nur einmal öffentlich gesagt, nur einmal.
    Und wieder einmal hilft das Ostmotto »Vorwärts immer, rückwärts nimmer«, das Jammertal nicht genutzter Chancen zu verlassen und sich der Realität zu nähern. Die Politik hätte niemals ausgehalten, sagt Birgit Breuel, was sie und die anderen Treuhändler sich damals an wütenden Protesten hatten anhören müssen, und ja, sie seien nun mal der Sündenbock gewesen für alles, was schiefging. »Aber das hat mich nie gestört. Die Kritik habe ich ausgehalten. Zumal ich ja wusste, nach außen hin haben sie uns alleingelassen im anschwellenden Sturm, aber innen natürlich unterstützt.«
    Vorwärts also. Es ist kein Zufall, dass Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus, der beim Blick auf verdorrte Arbeitslandschaften einen Systemwechsel in der Steuer- und Sozialpolitik fordert, mit seinem Vorstoß, ein »solidarisches Bürgergeld« einzuführen, gleichfalls auf die Summe von etwa 800 Euro kommt, wie die Reformer vom benachbarten Bundesland Sachsen-Anhalt. Einbehalten im Althaus-Modell werden 200 Euro für Gesundheitsvorsorge (Kopfpauschale). Man landet insgesamt etwa auf dem heutigen Niveau von Hartz IV, das man auf jeden Fall ohne Abstriche lebenslang behält, egal, was jeder Einzelne im Leben dazuverdient.
    Auch Althaus propagiert die Zusammenführung aller staatlichen Transferleistungen, auch für ihn ist Transfer gesamtdeutsch, obwohl nach wie vor vier bis fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes West Richtung Ost fließen. Sein Plädoyer für einen Systemwechsel gilt also für alle Deutschen. Gestrichen würden sämtliche Staatsausgaben für ALG 1 und 2, Minijobs, Kombilöhne. BAföG, Wohngeld, 1-Euro-Jobs sowie Pendlerpauschale, um ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger finanzieren zu können, unabhängig von ihrem Einkommen. Bei steigendem Verdienst sind selbstverständlich steigende Steuern fällig.
    Das Modell, das die gewohnten Kindergeldüberweisungen revolutioniert und pauschal jedem Kind bis zum 18. Lebensjahr 300 Euro zugesteht, soll über das 67. Lebensjahr hinaus bis zum
Tod gelten. Es heißt als Altersvorsorge dann Bürgergeldrente. Kosten insgesamt, bezogen auf die aktuelle Bevölkerungszahl in Deutschland, etwa 583 Milliarden Euro pro Jahr, die finanziert werden durch den Wegfall bisheriger staatlicher Zuschüsse. Althaus nahm das Aufheulen der Steuerexperten und der Finanzfachleute und aller Marktwirtschaftler ungerührt hin und hielt denen entgegen, dass Arbeit in Wahrheit billiger werde als bisher, weil bei Grundeinkommen die Lohnzusatzkosten für Arbeitgeber wie für Arbeitnehmer wegfallen würden. Außerdem sei die Debatte um Mindestlohn überflüssig, der eh Beschäftigung vernichte, während durch das solidarische Bürgergeld Arbeitsplätze geschaffen würden. »Wir brauchen Mut zur sozialpolitischen Revolution.« Wie nicht anders zu erwarten, wurde im politischen Berlin beschlossen, zunächst eine Arbeitsgruppe einzurichten, die sich mit den Ideen des Ostlers beschäftigen soll.
    Das kann natürlich dauern.
    Auf eine Revolution von oben wollten die in Bad Schmiedeberg nicht warten. Sie begannen unten.Vorbereitet wurde das Experiment mit einer Studie. Teams der Arbeitsagentur durchforsteten die Unterlagen der von ihnen qua Amt verwalteten Langzeitarbeitslosen. Sie kannten ihre Kunden persönlich und wussten aus Erfahrung, wer sich mit seinem Zustand abgefunden hatte, keine Perspektive mehr sah und auch keine

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