Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
um nicht direkt von der Schule in Hartz IV zu gleiten und dort dann für immer zu bleiben.
Für die jetzt Betroffenen aber ist wichtig: Sie sind wieder wer. Sie werden gebraucht. Sie werden eingesetzt. Sie haben eine Aufgabe. Als sie in der örtlichen Zeitung lasen, dass der Präsident der Industrie- und Handelskammer Sachsen-Anhalt die in Bad Schmiedeberg praktizierte Art der öffentlichen Beschäftigung ablehnte, weil es sich um ein »Placebo ohne Langzeitwirkung« für die Betroffenen handeln würde, haben sie nur gelacht. Für sie ist
es kein Placebo, sondern endlich eine Behandlung, die ihnen zumindest kurzzeitig hilft. Ob es Langzeitwirkung hat, wird man sehen. Das weiß keiner.
Wie kamen Sie ausgerechnet auf Bad Schmiedeberg? Der Minister ist auf diese Frage vorbereitet. Die haben ihm vor mir schon andere gestellt, als der Laborversuch losging. Erstens habe er sich dort ausgekannt, der Ort lag in seinem Zuständigkeitsbereich als Direktor des Arbeitsamtes, und zweitens wollte er sichergehen, dass nicht schon das Experiment scheiterte und irgendein Lobbyist aufheulte, weil Vater Staat darbenden privaten Betrieben die Aufträge stehle. Der jämmerliche Zustand des Stadthaushaltes von Bad Schmiedeberg war deshalb ideal, denn bei einer bereits angehäuften Verschuldung von 2600 Euro pro Kopf und nicht der geringsten Aussicht auf Licht am Ende des Tunnels war jedem klar, dass die alten Instrumente nie mehr helfen würden.
Wo es keine Aufträge mehr gibt, kann auch niemandem ein Auftrag weggenommen werden, so einfach ist das. Haseloff: »Wir haben nach dem Prinzip try and error einfach gehandelt, statt lange zu diskutieren.« Die Einwände ministerieller Fachbeamter, man dürfe aktive und passive Leistungen des Staates haushaltsrechtlich nicht miteinander verflechten, schmetterten die Laborchefs mit der Frage ab: Warum eigentlich nicht?, und fingen an. Es sei nun mal eine gesellschaftspolitische Aufgabe, dass man sich um die Leute kümmert oder ihnen wenigstens das Gefühl gibt, sich mit allen Mitteln um sie zu kümmern, betont der CDU-Politiker. Es ließe sich bestimmt mehr machen, man muss es nur wollen. Zwar hat ein heutiger Hartz-IV-Empfänger umgerechnet immer noch mehr, als »wir damals zu DDR-Zeiten an Lohn hatten, wir lagen bei etwa 83 Prozent davon«, und dennoch sehe sich der heutige Arbeitslose als der eigentliche Verlierer der Einheit. Was wiederum die Rechten ausnützen würden, um aus solchen Stimmungen ihre Stimmen zu saugen.
Das Experiment wurde vor Ort in Bad Schmiedeberg geplant, als ginge es um die Strategie für das letzte Gefecht. Es war ja auch eines, die Schlacht gegen die Hoffnungslosigkeit Ost. Die war
wirklich schwer zu gewinnen, weil es bisher so oft Niederlagen gegeben hatte. Die Planer begannen damit, die örtlichen Betriebe zu informieren und mit ihnen abzuklären, welche der im Modell anzubietenden Jobs sie nicht weiter stören würden. Wichtig sei gewesen, sagt Bürgermeister Stefan Dammhayn, kreativ zu sein und Arbeiten zu finden, die von der Privatwirtschaft gar nicht erst angeboten wurden, und nicht zuzulassen, dass »sich jeder kleine Verein nun begeistert auf Staatskosten ein neues Sportlerheim hinstellen lassen kann«.
Das gelang. Wesentlich für die Moral der kämpfenden Truppe war das begeisterte Engagement der Experten von der Arbeitsagentur, die endlich eine Chance bekamen, mal nicht nur den Mangel zu verwalten. Der bis jetzt messbare Erfolg ist ebenso ihr persönlicher, und das macht auch sie stärker, lässt auch sie, die wegen der Krise Arbeitslosigkeit einen krisensicheren Job haben, nicht in Depressionen verfallen.
Das kleine Wunder von Bad Schmiedeberg müsste Politikern Mut machen, derartige Experimente in anderen Kommunen zu wagen. Es funktioniert dieser winzige Aufbau Ost nur vor Ort, nur dort weiß man genau, was sinnvoll und nötig ist.Vieles vom Masterplan für die neuen Bundesländer, für den es einen zuständigen Minister in Berlin gibt, versickert irgendwo in einem un überschaubaren Projekt. »Wir brauchen mehr Unterstützung«, sagt Haseloff, und er wird dabei atypisch laut. Es sei ihm herzlich egal, welche Partei sich am Ende mit einem Erfolg schmücken will, gern darf es auch die seine sein, aber »was wir nicht brauchen können, ist eine Bürokratie, die uns sagt, geht alles nicht, es gibt keinen gesetzlichen Rahmen dafür«.
Noch laufen ähnliche Versuche in sechs Gemeinden Sachsen-Anhalts, und auch in denen klappt es wie in Bad Schmiedeberg.
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