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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Nullnummer halten. Böhmer hat dem spontan ausgerechnet, wie viel vom Solibeitrag, den Steuerzahler im Osten ja ebenso entrichten müssen wie die Westler, er für seinen maroden West-Haushalt bekomme. Da war er dann ruhig.
    Andere im Westen beschweren sich mit nachprüfbaren Zahlen. Bisher sind brutto rund 1,4 Billionen Euro in den Osten transferiert worden, wie das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) berechnet hat, und es reicht noch immer nicht. Klaus von Dohnanyi, ehemals Erster Bürgermeister in Hamburg und im geeinten Deutschland mal im patriotischen Einsatz als Treuhändler, resümiert in einem Rückblick auf die Arbeit der Treuhandanstalt: »Jeder Westdeutsche hat seit 1990 fast ein Dreivierteljahr (Kleinkinder und Arbeitslose eingerechnet) ausschließlich für den Aufbau Ost gearbeitet.« Er beklagt das nicht, er stellt nur fest. Es sei angebracht, sagt dagegen der Münchner Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn, von »Ostdeutschland als einem zweiten Mezzogiorno zu sprechen«. Also sollten die drüben endlich aufhören, ständig Geld zu fordern, bis irgendwann mal ihre Lebensverhältnisse denen im Westen angeglichen sind. Ein schönes, ein erstrebenswertes Ziel, aber illusorisch. Seit fünfzig Jahren schon pumpt die Zentralregierung in Rom Geld in den armen Süden, aber der Abstand zum reichen Norden Italiens ist dennoch gleich geblieben.
    Was mit anderen Worten heißt, zukünftig mit dem Unterschied zu leben und hinzunehmen, dass es so ist, wie es nicht zu ändern ist. Andernfalls stärke man nur weiter die eh schon vorhandene Mentalität drüben, der Staat habe, wie früher der andere, nun mal die Pflicht, seine Bürger rundum zu versorgen.
    Viele Beschwerden sind allerdings begründet. Es ist für einen West-Bürgermeister im ehemaligen Zonenrandgebiet ein Stück aus dem volkswirtschaftlichen Tollhaus, einfach absurd, dass eine Firma aus seinem Ort hundert Kilometer weiter über die ehemalige Grenze in ein neues Bundesland umzieht, weil sie dort
Subventionen aus dem Aufbau-Ost-Topf bekommt, er dadurch Hunderte von Arbeitsplätzen – und damit Steuerzahler – in seiner Kommune verliert, aber dennoch im Rahmen des bis 2019 geltenden, 159 Milliarden Euro umfassenden Solidarpaktes II seinen Anteil an den Transfers leisten muss. Was so die Arbeitslosigkeit Ost senkt, lässt die im Westen steigen.
    Die Hälfte der ostwärts fließenden Milliarden des Solidaritätspaktes geht in die Sozialkassen, doch von der kurz nach der Einheit ihm ganz selbstverständlichen Solidarität will der Bürger West nichts mehr wissen angesichts eigener leerer Kassen. Voller Empörung hat er gelesen, dass alle Bundesländer drüben mit Ausnahme Sachsens insgesamt fünfzehn Milliarden Euro aus dem Solidarpakt in den vergangenen Jahren nicht etwa dafür benutzt haben, den Aufbau Ost zu fördern, sondern still und leise den Abbau ihrer Schulden zu finanzieren.
    Sind etwa nicht drüben die Renten höher, die Mieten niedriger, die Schulklassen kleiner, das Straßen- und Schienennetz moderner? Stimmt. Deshalb lebt ja zum Beispiel die Stadt Görlitz so gut von zugezogenen Rentnern aus dem Westen.Wer 1000 Euro Rente bekommt, hat dort mehr vom Leben, denn selbst große, bestens renovierte Wohnungen in 1-A-Lage kosten nicht mehr als 500 Euro Miete, und wenn man zum Einkaufen die paar Kilometer über die Grenze nach Polen fährt, sind auch alle Lebensmittel nochmals um 20 Prozent billiger als die vor Ort eh schon günstig angebotenen. Die Görlitzer Verhältnisse verglich der »Spiegel« recht plastisch mit einem »Viagra für die Geldbörse«. Was mache es da schon aus, dass im Osten, dem neuen Paradies der Rentner, nur 75 Prozent der im Westen üblichen Löhne gezahlt werden, weil so etwas wie ein gültiger Flächentarifvertrag drüben keinen interessiert, die kommen doch mit dem hin, was sie haben usw.
    Dass gut ausgebildete und motivierte Fachkräfte aus der ehemaligen DDR auf der Suche nach Arbeit in den Westen ziehen und dort beim Aufschwung helfen, gehört aber ebenso zur objektiven Wahrheit wie die Tatsache, dass in den ersten Jahren der
Einheit die Konjunktur im Westen wegen des Nachholbedarfs der neuen Konsumenten Ost boomte und, als der Boom erstarb, der Westen mindestens so unvorbereitet war auf die Herausforderungen der Globalisierung wie der Osten. Manches ist dabei dort angesichts des Zwangs, schnell zu handeln, sogar besser gelaufen als im Westen. So geht es bei Ansiedlungen mit Planfeststellungsverfahren

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