... Wie Gespenster in der Nacht
Wagen starrte Fiona durchs Fenster hinaus auf das Hotel. „Ich weiß nicht, ob ich mich wirklich erinnere oder ob die Bilder durch die vielen Erzählungen entstanden sind.“
„Du warst hier glücklich, hast immer gelacht. Und getanzt. Ich habe dir etwas vorgesungen, und du hast dazu getanzt.“
„Du erinnerst dich? Du warst damals doch selbst noch ein kleiner Junge.“
„Aye, ich erinnere mich.“
Sie wandte ihm das Gesicht zu. „Hast du mich früher auf den Schultern getragen?“
„Aye. Hat man dir das erzählt?“
„Nein.“
Ein Lächeln zog über sein Gesicht. Er sah müde aus. Das Lächeln schien so normal, so natürlich, nur die Abgespanntheit war es nicht. „Du hast mich dann immer getreten, und ich habe dir gesagt, dass du damit aufhören sollst. Dann hast du mir den Kopf getätschelt und dich entschuldigt. Und gerade, als ich dachte, du hättest es begriffen, und mich entspannte, hast du mich wieder getreten.“
„Für eine Entschuldigung scheint es mir jetzt wohl zu spät, oder?“ Auch sie lächelte.
„Gehen wir rein. Duncan und Mara warten schon lange.“
„Du kommst mit?“
„Aye. Und es gibt nichts, was du tun könntest, um mich davon abzuhalten.“ Er stieg aus und kam um den Wagen herum, um die Tür für sie zu öffnen.
Fiona war sich nicht sicher, ob sie wollte, dass Andrew blieb. Er brauchte Ruhe. Der Unfall und alles, was damit zusammenhing, hatten seinen Tribut gefordert, das war ihm deutlich anzusehen. Sie wusste, wie sehr seine Hände schmerzen mussten, auch wenn kein einziger Ton der Klage über seine Lippen gekommen war. Zwar hatte er sich im Krankenhaus die Hände verarzten und verbinden lassen, aber die Schmerztabletten, die man ihm hatte verabreichen wollen, hatte er abgelehnt. Weil er einen klaren Kopf für die Rückfahrt brauche, so sein Argument. Fiona fragte sich allerdings, ob er die Schmerzen unbewusst nicht als irgendeine Form von Strafe akzeptierte, weil er das Hume-Mädchen nicht eher gerettet hatte.
Doch es gab auch einen rein egoistischen Grund für ihre Unentschiedenheit, ob er nun gehen oder bleiben sollte: Sie besaß einen gesunden Stolz, dafür aber viel weniger Mut. Andrew sollte nicht sehen, wie viel Überwindung es sie kostete, durch die Vordertür zu gehen und das Haus zu betreten, zum ersten Mal nach zweiundzwanzig Jahren. Und dann war da dieser andere Teil in ihr. Der Teil, der sich danach sehnte, sich einfach bei ihm anzulehnen, ihren Stolz aufzugeben und einzutauschen für seine außergewöhnliche Stärke und die sichere Geborgenheit, die sie in seiner Nähe verspürte.
Als er die Tür aufzog, wusste sie, der Moment war gekommen. Er hielt ihr seine Hand hin, und sie legte behutsam ihre hinein. Er umfasste sie warm und fest. „Duncan und Mara haben viel verändert“, sagte er. „Mara mag das Alte, das Traditionelle, und Dunc will all das ausrangiert und modernisiert wissen. Mit ihren gegensätzlichen Vorstellungen haben sie ein perfektes Gleichgewicht gefunden. Alles ist jetzt heller, klarer. Einladender. Aber es ist immer noch das alte Hotel.“
Das alte Hotel. Etwas in Fiona weinte stumme Tränen. Andrews Akzent, schwer und musikalisch, rief Erinnerungen in ihr wach, Fetzen nur, doch sie waren voller Sehnsucht. Es war die Stimme der Heimat, die man ihr zweiundzwanzig Jahre lang vorenthalten hatte. Die Melodie von Liebe und Anerkennung und dem Leben, das ihr auf so grausame Weise entrissen worden war. Sie stand reglos da und schaute Andrew an. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und das Herz pochte hart in ihrer Brust.
„Du musst nur durch die Tür gehen“, sagte er leise, „und es wird sofort besser.“
Sie nickte stumm. Es wäre unsinnig, ihre Angst zu leugnen. Alle Farbe war aus ihren Wangen gewichen, und die Hand, die er hielt, zitterte.
Sie gingen über den mit Kopfsteinen gepflasterten Weg, vorbei an Sträuchern und Büschen, an denen sich die ersten Knospen hervorwagten. Ein süßer Duft lag in der Luft, und in dem schmalen Beet, das sich rund ums Hotel zog, sah Fiona prachtvolle violette Hyazinthen leuchten.
„Tante Fiona!“ Die Tür flog auf, eine massive Holztür, die schon seit Jahrhunderten in den Angeln ächzte, und ein Kind kam auf sie zugestürmt. „Tante Fiona!“
Fiona fing ihre Nichte auf und drückte sie so fest an sich, als hinge ihr Leben davon ab. „Du bist gewachsen! Ich kann’s gar nicht glauben. Ich habe dich doch gerade erst gesehen, und du bist schon wieder gewachsen!“
„Das ist doch schon Monate
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