... Wie Gespenster in der Nacht
Ganze allein durchstehen müssen. Sie wird sich schrecklich einsam fühlen. Und da Ihnen so viel an ihrem Schicksal liegt …“
„Ja, und Andrew auch. Vielen Dank!“ Fiona winkte zum Abschied, als die Türen sich schlossen.
Andrew lief rastlos den Korridor auf und ab, als Fiona aus dem Aufzug stieg. „Ist alles in Ordnung mit dir?“ Aufgewühlt strich er sich das Haar aus der Stirn. Eine völlig nutzlose Geste und daher umso liebenswerter.
„Mir geht es gut, und ich glaube, deiner Freundin bald auch.“
„Was meinst du damit?“
„Ich habe sie gerade gesehen. Tut mir leid, dass du nicht dabei sein konntest, aber wir hatten keine Zeit, dich erst zu suchen.“ Fiona erklärte, was sich zugetragen hatte.
„Und sie ist stabil?“
„Davon kann man wohl ausgehen. Ich weiß nicht, ob die Ärzte schon etwas Genaues sagen können, aber die Schwester meinte, die Chancen für die Kleine stünden gut. Dreißig bis vierzig Prozent ihrer Haut sind betroffen, aber nicht überall sind es Verbrennungen dritten Grades. Sie hatte wohl innere Blutungen, deshalb die OP. Aber letztendlich war es scheinbar nicht so dramatisch. Mehr wusste die Schwester auch nicht. Es ist ein Wunder, dass sie mir überhaupt so viel erzählt hat.“
Andrew ließ sich auf einen Stuhl sinken und stützte den Kopf in die Hände. Fiona setzte sich neben ihn. Ihr Blick fiel auf seine Hände. Sie waren jetzt eindeutig angeschwollen, was sie vorher nicht gewesen waren.
„Andrew, wir sollten in die Ambulanz gehen, oder wie immer man das hier nennt, damit sie sich um deine Hände kümmern können. Sonst entzünden die sich noch.“
„Du glaubst, sie kommt durch?“
„Ja, es sieht ganz so aus. Und man kümmert sich um sie. Im Moment sucht man nach den Verwandten. Man hat herausgefunden, dass der Wagen einem Robert Hume aus England gehört.“
Er sah auf. „Da hat es einen Moment gegeben, gleich nachdem ich sie aus dem Wagen gezogen hatte … Ich fragte mich, ob ich das Richtige getan habe, als ich sie rettete. Habe ich das Richtige getan, Fiona? Was sie jetzt alles durchmachen muss, die Schmerzen, der Kummer, die Trauer … Habe ich das Richtige getan?“
Sie wusste, warum er ausgerechnet sie fragte. Die Antwort war ein Geschenk, das nur sie oder jemand wie sie, der das Gleiche durchgemacht hatte, ihm geben konnte. Auch sie hatte ein Feuer überlebt. Hatte sie sich manchmal gewünscht, sie wäre besser darin umgekommen? Wünschte sie es sich jetzt, wenn sie zurückblickte auf das, was sie hinter sich hatte?
„Du hast das Richtige getan.“ Sie atmete tief durch. Sie hatte die Worte ausgesprochen, weil er sie so unbedingt hören musste. Und stellte fest, dass die Worte wahr waren. Stellte es mit grenzenloser Erleichterung fest. „Ja, du hast das Richtige getan, Andrew! Eines Tages wird sie ebenso glücklich sein wie ich, dass sie am Leben geblieben ist und ein ganzes aufregendes Leben vor ihr liegt.“
Seine Augen schimmerten, als er nickte.
Ihr Herz zog sich zusammen. In diesem Moment war er so verletzlich, wie sie es ihr ganzes Leben lang gewesen war. Sie nahm an, dass diese Verletzlichkeit und die anderen Gefühle völlig neu für ihn waren. Andrew war ein starker Mann, ein guter Mann. Aber heute brauchte er ihre Kraft.
„Danke“, sagte er mit rauer Stimme.
„Ich glaube, jetzt bin ich bereit für Druidheachd.“
„Du bist mehr als bereit.“ Er lehnte sich zu ihr und drückte einen Kuss auf ihre Wange. Seine Lippen waren fest und warm, und das so seltene innige Gefühl, geschätzt und anerkannt zu werden, sandte wärmende Sonnenstrahlen bis in den hintersten Winkel ihres erschöpften Körpers.
„Lass uns nach Hause fahren, Andrew“, sagte sie, als er sich abwandte.
„Aye, Fiona. Lass uns nach Hause fahren.“
3. KAPITEL
D as alte Gebäude aus den massiven grauen Steinen war keineswegs ein Gefängnis. Es war vielmehr das Heim, das Fiona aus ihrer Kindheit kannte: das Hotel, das auch den Dorfpub beherbergte, und das Haus, in dem Generationen ihrer Vorfahren gelebt hatten. Das Sinclair Hotel war der Ort, an dem sie als Kind auf dicken Wollsocken über die Granitfliesen geschlittert war. Es war das sichere Refugium, in das sie sich immer hatte zurückziehen können, wohlig warm eingebettet in der Liebe ihrer Familie.
Bis zu der Nacht, als das Hölleninferno sie beinahe verschlungen hätte.
„Du warst noch so jung, noch ein ganz kleines Mädchen. Kannst du dich überhaupt noch erinnern?“
Vom Beifahrersitz in Andrews
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