... Wie Gespenster in der Nacht
Bissen mehr hinunter“, behauptete er und sah zu April. „Auch wenn es der beste Apfelkuchen der Welt ist.“
„Wie wäre es dann mit einem Kaffee?“
„Ich sollte mich besser auf den Nachhauseweg machen.“ Andrew legte seine Serviette neben dem Teller ab. „Ich habe Poppy bei meiner Nachbarin gelassen. Wenn ich ihn nicht bald abhole, wird Mrs. Kent den armen Hund sicherlich noch an mein Darling verfüttern.“
„Du kannst jetzt nicht gehen“, mischte Duncan sich ein. „Iain und Billie sind auf dem Weg hierher. Bleib zumindest so lange, bis sie hier sind.“
„Dein Darling?“ Fiona sah fragend zu ihm hin. „Habe ich irgendetwas verpasst? Ist jetzt auch der letzte Mitternachtsmann gezähmt worden?“
„Gezähmt?“
Natürlich waren ihr seine Augen schon vorher aufgefallen – wem würden diese Augen nicht auffallen?! Das Grünbraun änderte sich ständig, manchmal waren seine Augen fast ganz braun, dann wiederum grün wie ein tropischer Ozean, vor allem, wenn seine Gefühle aufgewühlt waren. Jetzt glitzerten seine Augen wie Sonnenlicht auf einer ruhigen Wasseroberfläche, der Humor, den Fiona bei ihm erahnte, blitzte aus ihnen heraus.
„Ja, gezähmt. Verheiratet. Hast du inzwischen etwa auch geheiratet, Andrew?“
„Oh. Aye. Ich bin schon verheiratet, seit ich alt genug bin, um aufrecht am Seeufer zu sitzen und über das Wasser hinweg zum Horizont zu starren.“
Fiona war selten geneckt worden. Ihr ganzes Leben war eine ernste Angelegenheit gewesen. Jetzt stellte sie fest, dass ihr bei Andrews Flachserei prickelnde Wärme über die Haut kroch und zudem eine Spur Verwirrung hinterließ. „Ich scheine die Einzige zu sein, die keine Ahnung hat, was du meinst.“
„Andrews Darling ist unser hiesiges Seeungeheuer“, erklärte Duncan nüchtern. „Ich weiß nicht, warum er es so unnötig in die Länge zieht.“
Sie blickte zu ihrem Bruder; seine Augen funkelten keineswegs belustigt. Er musterte seinen Freund aus Kindertagen, den Mann, der ihm näher stand als ein Bruder. Und seine Augen blickten noch ernster drein als sonst.
„Fiona hält einen kleinen Scherz schon aus“, sagte Andrew.
„Fiona hat einen harten und anstrengenden Tag hinter sich“, konterte Duncan.
„Fiona sitzt mit am Tisch und kann für sich selbst sprechen“, kam es mit einem gezwungenen Lächeln von ihr. „Fiona ist nämlich schon ein großes Mädchen.“ Sie wandte sich an Andrew. „Erzähl mir von deinem Darling.“
„Muss ich das wirklich? Du kennst die Geschichten doch alle. Ich habe sie dir erzählt, als du noch ein kleiner Hüpfer warst.“
In einem Land, gar nicht so weit weg, in einem See, dessen Wasser so tief sind …
„ Du warst das also.“ Sie flüsterte die Worte nur und beugte sich zu ihm vor. „Du warst es, der mir die Geschichten von dem Wasserdrachen erzählt hat.“
„Mir war nicht klar, dass ich der Einzige war.“
„All die Jahre … ich habe mich immer gefragt …“
„Das war die einzige Möglichkeit, dich überhaupt zu beruhigen. Du warst ein wildes Kind, Fiona. Hast mich an den Haaren gezogen, hast mir in die Ohren gekreischt …“
„Ich habe doch nicht die gleichen Geschichten genutzt, oder? Ich meine, die Stardust -Geschichten sind doch nicht dieselben, die du …?“
Er schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, überhaupt nicht. Ich fürchte, mein Darling lebt allein. Ich wünschte wirklich, sie hätte so viele Freunde.“
„Du … hast du dein Darling je gesehen?“
Er grinste. „Nicht die Spur. Keine Flosse, nicht einmal eine Schuppe.“
„Aber er wird sie sehen, ganz bestimmt.“ April stand von ihrem Stuhl auf, kam um den Tisch herum und setzte sich auf Andrews Schoß. „Onkel Andrew wird sein Darling sehen“, bekräftigte April überzeugt. „Wenn auch nur ein Mal. Denn öfter zeigt sie sich niemandem, richtig?“
„Richtig.“
„Andrews Fantasie kann der deinen Konkurrenz machen, Fiona“, kam es trocken von Duncan. „Er zeigt auch nicht die geringsten Hemmungen, sie mit April zu teilen.“
„Du dagegen, mein geliebter Gatte, bräuchtest dringend eine Fantasie-Infusion.“ Mara drückte ihrem Mann einen zärtlichen Kuss aufs Haar, als sie aufstand und anfing, den Tisch abzuräumen.
„Gäbe es so etwas, dann wäre Druidheachd mit Sicherheit das Zentrum, wo man sich auf solche Infusionen spezialisiert hätte. Bestimmt gibt es nirgendwo auf der Welt noch einen Ort, in dem mehr schrullige, leichtgläubige und vor allem leicht zu beeinflussende Menschen
Weitere Kostenlose Bücher