... Wie Gespenster in der Nacht
Wurzelballen dann auf dem Rasen daneben abzulegen. Sie hob den Arm und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
Sie sah müde aus. Zum ersten Mal, seit er denken konnte, wirkte Kaye Gerston alt.
Andrew räusperte sich und wünschte sofort, er hätte eine andere Methode gewählt, um sich bemerkbar zu machen. Seine Kehle zog sich schmerzhaft zusammen, ein Hustenanfall schüttelte ihn.
„Gütiger Herr im Himmel! Was hattest du als Nächstes geplant, Andrew? Wolltest du einen wilden Veitstanz aufführen und dabei schrill kreischen?“ Mit einem Ruck drehte Kaye sich zu ihm um.
„Entschuldige. Ich muss mir wohl was eingefangen haben“, sagte er heiser.
„Dann bleib nur ja schön auf Abstand. Ich hab schon genug Probleme, auch ohne dass ich mich bei dir anstecke.“ Sie seufzte. „Komm mit ins Haus, Junge, und ich gebe dir was gegen den Husten.“
Zerknirscht trottete er ihr hinterdrein. Er hatte vorgehabt, entschieden und energisch aufzutreten, doch jetzt wollte er nichts anderes mehr als in ihrer warmen Küche sitzen und sich ausruhen.
Kaye hatte kaum die Tür geöffnet, als Andrew auffiel, dass etwas anders war. Zwar standen noch immer Kartons in der Diele, aber nicht mehr viele. Im Wohnzimmer reihten sich die Bücher wieder ins Regal, das Kaminsims zierten wieder gerahmte Fotos und andere Erinnerungsstücke. Die Möbel standen wieder in militärischer Ordnung an der Wand, so wie es gewesen war, bevor Kayes zierliche Töchter sie zu gemütlichen kleinen Grüppchen zusammengestellt hatten.
„Ich hatte eigentlich erwartet, dass hier längst alles leer ist“, bemerkte er.
„Dann hast du wohl was Falsches erwartet, was?“
„Nun, es wäre nicht das erste Mal, dass ich mich irre.“ Er folgte ihr in die Küche und setzte sich auf den Stuhl, auf den sie zeigte.
Andrew sah zu, wie sie den Wasserkocher einschaltete, eine Flasche von Schottlands feinstem Whisky aus dem Schrank holte, zusammen mit einer rustikalen Bechertasse, halb kochendes Wasser und halb Whisky einfüllte, frischen Zitronensaft und einen Teelöffel Honig hinzu gab und den dampfenden Becher dann vor ihn hinstellte. „Trink. Bis auf den letzten Tropfen“, befahl sie.
Dazu musste man ihn nicht zweimal auffordern.
„Manchmal erinnerst du mich an Terence“, sinnierte sie. „Er hat öfter in meiner Küche gesessen, als ich zählen kann, hat meinen Whisky getrunken und Geschichten erzählt. Du bist ihm so ähnlich.“
Andrew trank sofort erheblich langsamer.
„Er war ein guter Mann, dein Dad.“
Andrew war müde, und Kayes heißer Toddy half wenig gegen seine kratzende Kehle. Er hatte immer milde gegenüber seinem Vater sein wollen. Nachsichtigkeit gelang ihm eigentlich immer, manchmal sogar Liebe. Doch heute fand er weder das eine noch das andere in sich. „Mein Vater war ein Trinker. Wenn du ihm jedes Mal Whisky angeboten hast, musst du ihn oft hier sitzen gehabt haben. Er holte sich den Schnaps, wo immer er ihn kriegen konnte. Und zum Schluss war ihm gleich, was er trank, solange es nur Alkohol enthielt.“
„Du klingst verbittert, Junge. Von dir habe ich noch nie Bitterkeit gehört.“
„Ich weiß, was er war.“
„Ich an deiner Stelle wäre mir da nicht so sicher.“
Mit gerunzelter Stirn sah er zu ihr hin. „Ich habe mit dem Mann gelebt, Kaye. Wer sollte ihn kennen, wenn nicht ich?“
„Wusstest du zum Beispiel, dass dein Dad während unserer Schulzeit sämtliche Preise eingeheimst hat?“ Kaye fuhr erst fort, als Andrew den Kopf geschüttelt hatte. „Niemand war intelligenter als unser Terence. Niemand konnte einen ganz normalen Tag zu einer Geschichte verwandeln, die uns alle den Atem anhalten ließ. Und sein Lächeln …“ Bei der Erinnerung musste sie selbst lächeln. „Er hat jeder im Dorf den Kopf verdreht mit diesem Lächeln. Ich schließe mich da gar nicht aus. Aber er hat nie eine andere angesehen als deine Mum. Und Jane hat ihn ebenso sehr geliebt. Deswegen hat sie ihn ja auch nie verlassen, Andrew. Gründe hätte sie wahrlich genug gehabt, das wissen wir beide. Doch wenn er das Trinken sein ließ, dann war er ein Engel, den der Himmel auf die Erde geschickt hatte. Er war so gütig, sah die Dinge so klar, hatte eine Vision von der Welt, die niemand sonst von uns sehen konnte …“
Andrew hatte das Gefühl, jemand würde ihm die Kehle mit eisigen Fingern zudrücken. „Manchmal sehe ich in den Spiegel, und dann starrt mich aus dem Spiegel mein Vater an.“
„Weil du ihm so sehr
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