... Wie Gespenster in der Nacht
ähnelst, Andrew! Du bist das, was er gewesen wäre, wenn der Alkohol nicht nach ihm gegriffen hätte.“
„ Er hat sich den Alkohol gegriffen, und wir mussten alle mit ansehen, wie er daran zugrunde gegangen ist.“
„Er hat dich sehr geliebt. Er hat versucht, für dich und deine Mum mit dem Trinken aufzuhören. Letztendlich konnte er für niemanden damit aufhören. Und er hat immer Angst gehabt, dass du verbittert sein würdest.“
Schweigend trank Andrew den Becher leer. Der ganze Tag war seltsam verlaufen. Er redete nur selten über seinen Vater. Die eisigen Finger an seiner Kehle drückten fester zu.
„Ich nehme an, du fragst dich, warum ich dich hergebeten habe“, wechselte Kaye das Thema.
„Die Frage hat sich mir aufgedrängt, ja.“
„Ich habe den endgültigen Kaufvertrag für das Grundstück noch nicht unterschrieben.“
„Nicht?“ Nichts in seiner Miene änderte sich, doch sein Puls begann schneller zu schlagen.
„Habe ich doch gerade gesagt, oder?“
Er nickte nur stumm.
Mit einem Seufzer verschränkte Kaye die Arme vor der Brust. Im warmen Licht der Küche konnte Andrew den weißen Haaransatz in ihrem roten Haar erkennen. Er fragte sich, ob das der Grund war, wieso Kaye plötzlich so alt aussah. Oder ob sie sich entschlossen hatte, sich das Haar nicht mehr zu färben, weil sie tatsächlich alt war und sich selbst nichts mehr vormachen wollte.
„Ich sterbe, Andrew.“
Er setzte den Becher auf den Tisch zurück. „Wie meinst du das?“
„Ich habe noch weniger als ein Jahr zu leben. Das weiß ich schon seit einer Weile. Wahrscheinlich habe ich mir eingebildet, wenn ich alles hier aufgebe, könnte ich etwas daran ändern. Mit dem Tapetenwechsel sollte sich auch das Schicksal ändern.“ Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie nicht glauben, dass sie so dumm gewesen war. „Doch inzwischen weiß ich es besser. Meine Entscheidung hat mich eingeholt … Nun … du bist dafür verantwortlich, wenn du es unbedingt wissen willst. Du mit deinem Einsatz für Iain und Duncan. Ich wollte etwas anderes glauben, weil es mir so besser passte. Aber ich kenne die Jungs fast so gut, wie ich dich kenne, und ich konnte mir nicht ewig etwas vormachen. Und als die ersten Zweifel sich bei mir meldeten …“
„Es sind gute Männer.“
„Aye, das sind sie. Also habe ich mich mit meinen Mädels besprochen. Sie wollen, dass ich hierbleibe, wo ich mich am wohlsten fühle, und ausnahmsweise haben sie mal recht. Sie werden in den nächsten Monaten abwechselnd herkommen, um bei mir zu sein und Abschied zu nehmen.“
„Bist du sicher, dass du sterben wirst?“
„Natürlich bin ich sicher. Meinst du etwa, bei so etwas Wichtigem täusche ich mich?“ Ihre Stimme wurde wieder leiser, und zögernd lächelte sie. „Ach Andrew, Junge, du willst es nur nicht wahrhaben. Das ist nett von dir.“
Als er jetzt sprach, war seine Stimme nicht nur von der heranziehenden Grippe rau. „Du wirst mir fehlen.“
Für den Bruchteil einer Sekunde sah Kaye traurig aus, dann schüttelte sie resolut den Kopf. „Dafür ist später Zeit genug, Andrew. Noch bin ich hier, und wir müssen Pläne schmieden.“
„Müssen wir?“
„Aye. Denn ich habe beschlossen, dir das Land zu vermachen.“
Einen Moment lang glaubte er, sich verhört zu haben. „Mir? Aber warum?“
„Du bist der Einzige, der keine Gotteslästerung betreiben wird.“
„Deine Töchter sollten das hier erben, Kaye.“
„Meine Mädels wollen es nicht. Sie haben sich ein eigenes gutes Leben aufgebaut. Sie haben gute Jobs und führen glückliche Ehen. Keine von ihnen braucht das Geld, das der Verkauf einbringen würde. Über die Jahre habe ich auch ein bisschen in ein paar andere Dinge investiert … Alle drei werden ein nettes Sümmchen bekommen, das mich ihnen sicher in guter Erinnerung halten wird.“
„Ist es denn zu einem so späten Zeitpunkt überhaupt noch möglich, sich aus dem Vertrag zurückzuziehen? Carlton-Jones hat doch schon Arbeitsaufträge verteilt, soweit ich verstanden habe.“
„Die Stege mussten sowieso erneuert werden. Ich zahle die Männer selbst für ihre Arbeit. Aber ich hab’s gründlich überprüft, Andrew. Das Land gehört so lange mir, bis ich die endgültigen Papiere unterschreibe. Ich kann jederzeit meine Meinung ändern, wie es einer Frau nun mal zusteht.“
„Carlton-Jones und Surrey werden das nicht so einfach hinnehmen. Sie werden drohen …“ Er brach abrupt ab. „Haben sie dir etwa gedroht? Hast du es ihnen
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