Wie ich Brad Pitt entführte
den Schultern. »Okay, laut Internet hast du keine. Und? Hast du?« Würde er mir jetzt eine fünfköpfige Familie präsentieren? Möglich war alles. Schließlich scheint die Wahrheitsliebe bei Tom und Zack eher eine schwach ausgeprägte Sekundärtugend zu sein. Er schenkt mir sein berühmtes schiefes Lächeln.
»Nee, hab ich nicht.«
»Und warum nicht?« Das war ja hier wie Zähne ziehen.
»Tja, das ist nicht so einfach.« Er fährt sich mit der rechten Hand durchs Blondhaar.
»Wieso? Dir müssen die Frauen doch in Scharen die Bude einrennen?«, werfe ich ein.
»Schon«, gibt er zu, »aber …«
Mit den Frauen, die auf Tom stehen, hatte ich schon so meine Erfahrungen gesammelt. Einmal, lange bevor ich Toms Rettung überhaupt ins Auge gefasst hatte, belauschte ich mal zwei grob gesträhnte Blondinen in der Kampen-Bäckerei an der Ecke. Sie hatten gerade Kornecken mit Käse bestellt und warteten darauf, dass selbige geschmiert wurden.
»Na, haste gestern Abend ›Südstadt‹ geguckt?«, wollte die größere der beiden wissen.
»Na, was glaubst du denn. Der Schneider ist doch zuckersüß!«, antwortete die andere, die in einer Art sexy Wurstpelle verpackt war, aus der oben zwei immens große, fast melonenartige Gebilde den Weg in die Freiheit suchten. Die Große rupfte sich genüsslich das ebenfalls nicht schlecht gefüllte Dekolleté zurecht: »Mit dem würd ich echt auch mal gern!«
Die Wurstpelle fing an, wie blöd zu kichern.
»Was?«
Sie kicherte weiter.
Ihre Freundin riss die hellblauen Kulleraugen auf. »Nee. Echt? Mit dem Schneider?«
Die Wurstpelle nickte vergnügt. »Im Mainzer Hof. Aufm Klo.«
Mir stieg das Blut in den Kopf. Was für eine unglaubliche Lüge! Tom alias Paul würde doch nie … wie konnte dieses Flittchen …
»Mann, erzähl! Wie war er?!« Die Stimme der großen Blondine überschlug sich fast vor geifernder Sensationslust.
»Stehend gegen die Klotür … Supergeil.« Um ihre Aussage noch zu unterstreichen, nickte Wurstpelle ein paar Mal mit anerkennend vorgeschobenem Schmollmund. Ihre Melonen hopsten.
Ich konnte nicht mehr an mich halten und tippte der ordinären Lügnerin auf die Schulter. Mit aller Empörung, zu der ich fähig war, sagte ich: »Sag mal, wovon träumst du eigentlich nachts?« Ich weiß. Schlagfertigkeit gehört nicht unbedingt zu meinen Stärken. Keine Ahnung, warum mir in solchen Situationen nie was Passendes einfällt. Auf jeden Fall sprach ich diese geistreichen Worte und rauschte aus der Bäckerei. Damals hätte ich meine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass die blonde Schlampe log … heute bin ich mir nicht mehr so sicher.
»Aber was …?«, fordere ich Tom auf, weiterzusprechen.
»Also … das einmalige Poppen ist nicht das Problem«, wand er sich.
Ich musste unwillkürlich schmunzeln: Sagte denn heute noch irgendjemand »poppen« dazu?
»Wie meinst du?«, hake ich trotzdem nach.
»Also, wenn ich will, brauch ich nur lang genug in irgendeiner Kneipe zu stehen.«
So war das also. Mein vergötterter Tugendapostel brauchte nur lang genug irgendwo rumzuhängen. Na, dann Prost. Ich stehe auf und gieße mir noch einen Rotwein ein.
»Und von deinen One-Night-Stands gefällt dir keine als Freundin?«
Entgeistert schaut Tom mich an. »Bist du verrückt?«
Seine Gesichtszüge sind gezeichnet von dem Schock über meine unglaubliche Aussage.
»Hör mal, ’ne offizielle Freundin von mir müsste doch mindestens Model oder noch besser Schauspielerin sein. Alles andere is doch fürn Arsch.«
Ach ja, damit wäre das Thema Beziehung für uns gelaufen. Ich atme einmal tief durch. Komisch. Mir geht’s gut. Die Welt bricht nicht zusammen. Das Leben geht weiter. Also fahre ich fort im Text: »Wo ist sie denn dann? Deine Model- oder Schauspielerfreundin?«
Tom schnaubt durch die Nase.
»Models! Mann, die sind doch alle zu doof und zu dünn.«
Wie schön, dass er keine Vorurteile hegt. Ich schaue ihn unverwandt an.
»Ja … und mit Schauspielerinnen ist es einfach zu stressig.« Tom lässt sich nach hinten fallen. »Weißt du, wie anstrengend das ist, sich die ganze Zeit über was vorzuspielen?« Er doziert weiter: »Stell dir doch mal vor, wie das bei Angelina und Brad abgeht …«
Tom nimmt einen Schluck Rotwein, und ich nutze die Pause, um mich darüber zu wundern, wie lustig der Name »Brad« aus dem Mund seines deutschen Lookalikes klang.
»… wenn die allein sind, wollen sie doch auch nicht weniger leidenschaftlich als auf der Leinwand
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