Wie ich Rabbinerin wurde
Seitenzahlen an. Ich schlage sie nach. Sein Lob betrifft alle Passagen, in denen es um die Palästinenser geht.
In Wahrheit weiß ich nicht so recht, ob ich die israelische Politik kritisieren möchte. Zwar kann ich inzwischen alle Argumente gegen die Diskriminierung der Palästinenser, die Besatzungspolitik und den Krieg abspulen. Und zugleich genießen die »Falken«, die Verfechter einer kompromisslosen Politik, und die religiösen Siedler keine Sympathien bei mir. Es ist klar, dass ich eher auf der linken Seite stehe. Trotzdem zögere ich, allzu laut die Positionen meiner Diplomarbeit zu vertreten.
In Düsseldorf gebe ich Helen Israel, einer Freundin Lilos, die Kind und Mann in der
Schoa
verloren hat, meine Diplomarbeit zu lesen. Helen ist die Präsidentin der
WIZO
in Deutschland, in der sich auch Lilo engagiert. Wenn jüdische Interessen auf dem Spiel stehen, regt sich Helen sofort auf. In Bezug auf die arabische Bedrohung ist sie eine Hardlinerin. Nachdem sie meine Diplomarbeit gelesen hat, schreibt sie mir einen Brief. Darin äußert sie ihr Unverständnis über meine »feindselige« Haltung zu Israel und meine »pro-palästinensischen« Ansichten. Beim Lesen ihres Briefes fühle ich mich überführt. Nicht dass ich eine glühend zionistische Arbeit hätte schreiben mögen. Vielmehr wird mir klar, dass meine Perspektive beliebig ist. Weder bin ich von meinen Israel-kritischen Argumenten richtig überzeugt, noch wäre ich es von ihrem Gegenteil. Ich hätte meiner Diplomarbeit genauso gut auch eine andere argumentative Richtung geben können. Ob eine Politik der harten Hand oder aber eine der Zugeständnisse zum Frieden mit den Arabern führt, kann ich nicht sagen. Außer meinem grundsätzlichen Ja zum Existenzrecht Israels habe ich keine wirkliche Position zur israelischen Politik.
Zunehmend erscheint es mir lächerlich, wenn wir in Deutschland versuchen, verbal den Nahostkonflikt zu lösen. Das gilt für meinen linken Politologieprofessor ebenso wie für die Juden in meinem Alter, die reden, als wären sie israelische Staatsbürger und könnten die Situation dort mitgestalten. UnsereFixierung auf Israel folgt einem unbewussten Mechanismus. Die vielen solidarischen Lippenbekenntnisse ebenso wie die kritischen Auseinandersetzungen lenken ab von unserem Jüdischsein in Deutschland. Wir bestimmen unser Jüdischsein nicht mit eigenen, positiven Inhalten. Vielmehr richten wir unseren Blick auf einen außerhalb Deutschlands gelegenen Pol, den wir jedoch nicht beeinflussen können. So halten wir uns selbst in Deutschland in einem Vakuum, in dem kein originäres jüdisches Leben entstehen kann.
Und auch nicht darf.
Auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft ist dieses Vakuum erwünscht. In den 80er und 90er Jahren wird jeder Jude in Deutschland so gut wie täglich genötigt, sich zur israelischen Politik und zum Nahostkonflikt zu äußern. Zugleich wird man täglich gebeten, seiner »Angst« vor dem Antisemitismus der Deutschen Ausdruck zu geben. Auch die Deutschen reduzieren ihre Wahrnehmung vom real existierenden Judentum auf diese zwei Koordinaten: auf Israel und den Antisemitismus. In Israel sollen die Juden »Täter« sein, in Deutschland »Opfer«. Dort »Schuldige«, hier »Verängstigte«.
1985 wird in dieser Hinsicht zu einem Schlüsseljahr für mich. Das Frankfurter »Theater am Turm« will Rainer Werner Fassbinders Stück
Der Müll, die Stadt und der Tod
uraufführen. Das Stück gilt als antisemitisch. Am Abend der Premiere besetzen Mitglieder der Jüdischen Gemeinde die Bühne und verhindern die Aufführung. In der Folge zitieren die Medien immer wieder die Worte einer Frau auf der Bühne: »Ich habe Angst.«
Teile der deutschen Mehrheitsgesellschaft empören sich über die Ignoranz des Theaterintendanten Jürgen Rühle, der meint, die »Schonzeit« sei vorbei. Sie fordern die Absetzung des Stückes und verweisen dabei ebenfalls auf die Worte jener Frau. Man müsse Rücksicht auf die »Angst der Juden« nehmen, sagen auch einige meiner nichtjüdischen Bekannten, die eigentlich für eine Aufführung gewesen wären, jedoch im Verlauf der Vorgänge ihre Meinung ändern. Solange das Traumader
Schoa
nicht überwunden sei, könne man das Stück »noch nicht« aufführen. Unmerklich verwandeln sie dabei eine zielgerichtete Aktion in ein Gesuch von Bittstellern.
Ich bin geistig voll in die Vorgänge um die Theaterbesetzung involviert. Die Hamburger Studentengruppe hat sich mittlerweile dem
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