Wie immer Chefsache
Leistungen zu haben.
Frau Althoff übernahm die Leitung. »Frau Berger betreut den journalistischen Teil des Magazins.« Mattes erfasste mit einem kurzen Blick auf den Computerbildschirm und auf einige Notizen und Fotos, die auf dem Tisch lagen, dass es wohl aktuell um eine örtliche Hundeausstellung ging. Hundeausstellung. Das war journalistisch ja eine Hochleistung, die ganz nah an seinen Berichten über Goldhochzeiten lag.
»Frau Berger ist ausgebildete Journalisten mit ganz hervorragenden Kontakten zu allen für uns wichtigen Stellen«, fuhr Frau Althoff fort.
»Die da wären?«, fragte Mattes.
Das brachte die Althoff aus der Fahrt, wie er zufrieden bemerkte.
Frau Berger antwortete stattdessen leise, aber nicht unsicher: »Die Hundezüchter, alle Händler für Tierbedarf, der Hundesportverein und unsere Anzeigenkunden. Ich fahre regelmäßig vorbei und sie rufen auch an, wenn es etwas Neues gibt.«
»Aha, das ist ja ganz groß«, sagte Mattes, weil ihm nichts anderes einfiel, und er hoffte, dass sie das als Chefantwort akzeptieren würde. War vielleicht ganz gut, wenn er etwas Distanz wahrte und so tat, als würde er sich erst mal ein Bild von der Vorgehensweise der Redaktion machen, ohne alles genauer zu kommentieren. Er sah sich auf der Suche nach Gesprächsstoff im Zimmer um, überlegte fieberhaft, was er sagen könnte, und empfand die lange Pause als bedrückend. Sie dokumentierte sein persönliches Versagen. Die blöde Althoff blieb stumm und ließ ihn hängen. Dabei war sie sonst doch immer vorne dabei, wenn es um die Gesprächsführung ging. Blöde Ziege.
Er durchbrach die Stille und versuchte etwas Sinnvolles anzubringen: »Ich bin Mattes Reuter, der neue Chefredakteur.«
»Ich weiß«, lächelte Frau Berger amüsiert. Wieder wurde es still. Frau Berger schien abzuwarten, ob er noch Fragen hatte, und wollte nicht von alleine wieder an ihren Bericht gehen, und die Althoff schien mit Genuss zu beobachten, wie er sich in dieser Situation verhielt. War das eigentlich schon ein Fall für eine Abmahnung? Eine persönliche Assistentin, die bewusst nichts sagte, um ihren Chef lächerlich zu machen? Trotz der widrigen Umstände musste er jetzt unbedingt in der Chefrolle bleiben.
»Tja, dann … geh ich mal«, hörte er sich sagen und wusste, dass das ganz sicher nicht der perfekte Abgang war.
»Und ich schreib dann mal weiter«, lächelte Frau Berger schüchtern, wandte sich wieder ihrem Computer zu und tippte auf der klappernden Tastatur los.
An der Tür des Nebenzimmers hing ein großes Plakat, das mit grellen Farben für ein längst vergangenes Konzert einer Heavy-Metal-Gruppe namens Suizeeds warb. Frau Althoff informierte: »Herr Plattler«, klopfte kurz an, öffnete die Tür und ließ Mattes zuerst eintreten. Eine dicke Schicht grauweißen Zigarettenqualms verhinderte einen klaren Blick, und die nikotingetränkte Luft nahm Mattes fast den Atem. Aus der Mitte des Zimmers, in der schemenhaft ein vollgepackter Schreibtisch mit einer Gestalt davor zu erkennen war, kam der un freundliche Ruf: »Tür zu!« Das ist also der berühmte Art Director, dachte Mattes. Anscheinend ein ganz anderes Kaliber als die zurückhaltende Frau Berger. Eine Stimme polterte ihm verärgert entgegen: »Mir fliegt der ganze Scheiß durch die Gegend, wenn die Tür so aufgerissen wird!«, und aus dem Nebel erhob sich eine große, schmale Gestalt, jugendlich in schlabbernde Jeans und lässiges T-Shirt gepackt, das Gesicht aber deutlich Richtung 50 tendierend. Die stark mit Grau durchsetzten Haare waren genau das Stück zu lang, das sie wie eine seit Wochen aus der Form gewachsene Frisur aussehen ließ und das bei jedem Betrachter ein unmittelbares Bedürfnis auslöste, nach einer Schere zu greifen und die verstörenden Überlängen rasch selber zu entfernen. Mattes hasste Leute, die Bemerkungen über anstehende nötige Friseurbesuche machten, und er war peinlich berührt, dass ihm so ein Satz jetzt auf den eigenen Lippen hing und er ihn nur mühsam zurückhalten konnte. Im Art-Director-Mundwinkel hing eine qualmende Zigarette und schien mitverantwortlich für die graue, fast gegerbt wirkende Haut zu sein. Der ist in seiner persönlichen Entwicklung irgendwann vor dreißig Jahren stehen geblieben, dachte Mattes, altert an der Außenhülle aber weiter und merkt es nicht.
Peter Plattler musterte den neuen Chefredakteur kurz, schien weder interessiert noch beeindruckt und raunzte düster: »Hi!« Mattes fühlte sich empfindlich
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