Wie immer Chefsache
aus. Um Himmels willen! Er wollte überhaupt nicht näher erfahren, wo der war. Mit mühsamer Beherrschung rief er: »Ich muss jetzt gehen«, nickte kurz und drehte sich geschäftig um. Er spürte große Erleichterung, als er auf den Hinterhof trat und die Redaktionstür hinter ihm zufiel.
Auf der Fahrt nach Hause war Mattes sicher, dass er in eine Falle geraten war. Aus seinem wunderbaren freiberuflichen Leben, das genug Zeit für viele andere Sachen bot, war er durch irgendeinen Trick in die Fänge der Althoff und ihres Hundemagazins gelangt. Die Redaktion lief mit Topleuten von alleine, und er sollte anscheinend möglichst störungsfrei den Chefredakteur spielen, ohne wirkliche Entscheidungsgewalt zu haben. Gut, Entscheidungen waren nie seine Stärke gewesen, aber das galt nur, wenn die Entscheidungen IHN betrafen. Für andere konnte er das sehr gut. Hier sollte er ein Chef sein, dem die Althoff vorschrieb, was er zu tun hatte, nämlich nichts. In spätestens zwei Wochen wäre er in seinem Hinterzimmerbüro vergessen, würde tatenlos am Schreibtisch sitzen und durch die Bürowände hören, wie um ihn herum ein Magazin fertiggestellt wurde. Was war eigentlich mit dem vorherigen Chefredakteur geschehen? Vielleicht war der gar nicht selber gegangen, sondern einsam in seinem Büro gestorben, während nebenan der Kläffer lärmte. Und weil er völlig nutzlos war und bei keiner anfallenden Arbeit vermisst wurde, wurde er erst nach Tagen zufällig gefunden. Vermutlich von der Althoff, die den nach Wochen in Einzelbürohaft gehaltenen, inzwischen willenlosen Mann zum Unterschreiben von irgendwelchen Papieren zwingen wollte. Er hatte sich allem Druck mit einem einsamen Dahinscheiden entzogen. Und dann hatte die Belegschaft in der Nacht heimlich seine Überreste in den Hof gezerrt und unter dem traurigen Rasenrest verscharrt. Gleich neben den dicken Müllcontainern. Mattes schüttelte den Kopf und ermahnte sich, dass er zu viel Phantasie hätte, aber er konnte nicht verhindern, dass ihm ein Schauer über den Rücken lief. Er wusste wirklich nicht, was mit seinem Vorgänger geschehen war. Nicht, dass er hier in einen Kriminalfall verwickelt wurde. Oder das nächste Opfer werden sollte?
Mina schlug an, als er die Wohnung betrat, und sie schien sich wirklich zu freuen, dass er da war. »Mein gutes Mädchen«, sagte er und klopfte ihr auf den Rücken. Ab morgen würde er sie in die Redaktion mitbringen. Das hatte er sowieso vorgehabt, aber das war jetzt auch wichtig für seine eigene Sicherheit. Wie viele Chefredakteure wohl schon unter dem kleinen Rasenstück lagen? Er griff zu einem Stift und schrieb die Adresse der Redaktion auf einen Zettel, den er mit einem Magneten an der Kühlschranktür befestigte. Wenn er tagelang nicht mehr in die Wohnung kam, würde Astrid sich Sorgen machen, nachsehen und den Zettel finden. Und wenn er schon keine Karriere bei der ZEIT machte, dann würde er ja vielleicht wenigstens eines Tages bei ›Aktenzeichen XY‹ auf dem Bildschirm erscheinen. Die Schweine würden nicht ungestraft davonkommen.
Die Runde um den Block tat gut, und er merkte, wie er über sich selber lachen musste. Was war nur los? Die Althoff war vielleicht etwas spleenig, aber sie würde nicht mitten in der Nacht mit einem Spaten Löcher buddeln, um verstorbene Chefredakteure verschwinden zu lassen. Jedenfalls wahrscheinlich nicht. Vor allem musste er heute noch klarstellen, dass er der Chef in der Redaktion war. Dazu wäre das erste Treffen mit den beiden Machern des Magazins der richtige Zeitpunkt. Gar nicht erst als Neuling auftreten, sondern sofort mit natürlicher Autorität zeigen, dass am Ende jeder Entscheidung nur sein Wort galt. Der Chefredakteur an der Spitze seiner Mannschaft. Egal, was es war, es war Chefsache. Ein energischer Zug trat in sein Gesicht, der so lange anhielt, bis er bei der Rückkehr vor dem Haus auf Astrid traf. Sie sah ihn kritisch an. »Was war mit deinem Termin? Dieser Art Vorstellungsgespräch?«
»Ooooch …«, zögerte Mattes.
Astrid erließ ihm die Antwort: »Also wieder nichts. Schade. Ich hatte gehofft, dass du mal irgendwo Grund unter die Füße bekommst. Du musst das Ruder anpacken. Nicht nur herumpaddeln.«
Die Sprüche kannte er. Da sprach die Persönlichkeits- und Erfolgsberaterin, und die war extrem ungehalten, dass ausgerechnet ihr Bruder keinen ihrer Ratschläge anzunehmen schien.
»Wenn du mal hier, mal da mit deiner Hand aufs Wasser patschst, wirst du nur nass, aber
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