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Wie Inseln im Strom

Wie Inseln im Strom

Titel: Wie Inseln im Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O`Brien
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eins?”
    Erstaunt sah Lacy ihre Stieftochter an. Was war los? Gwen hatte ihr noch nie etwas angeboten. Warum war sie nach den langen Jahren der Feindseligkeit ausgerechnet heute so sanftmütig gestimmt? Vielleicht war dies der erste Schritt zu … Lacy wagte nicht, an so etwas wie Freundschaft zu denken. Die Hoffnung, für Gwen so etwas wie eine Freundin zu werden, hatte sie längst aufgegeben. Aber vorhin, als sie aufgewacht war, hatte sie sich anders als sonst gefühlt. Es war, als würde sich um sie herum – und in ihr – einiges ändern.
    Gestern, bei Adam, war sie ehrlich gewesen und hatte ihren Zorn nicht unterdrückt, sondern herausgelassen. Das hatte ihr Angst gemacht, aber zugleich war es auch ein gutes ermutigendes Gefühl gewesen. Vielleicht sollte sie einfach riskieren, auch zu Gwen ehrlich zu sein. Vielleicht sollte sie zugeben, dass sie so manches Mal, wenn schon nicht auf Freundschaft, so doch wenigstens auf einen Waffenstillstand zwischen ihnen beiden gehofft hatte.
    “Ich liebe Milch”, verkündete Gwen, während sie sich ein großes Glas eingoss. “Sie haben mir vor vier Tagen den Strom in meiner Wohnung abgestellt.”
    Lacys aufkeimende Hoffnung zerstob von einer Sekunde zur nächsten. Natürlich. Wie hatte sie nur so naiv sein können? Zum Glück hatte sie den Mund gehalten und nichts von Freundschaft, einem Waffenstillstand oder anderen heimlichen Wünschen gesagt. Gwen war nicht nach unten gekommen, um nett zu ihr zu sein. Sie war so früh aufgestanden, um einen Vorschuss zu verlangen.
    Und dieses harmlose Gespräch war nur ein Vorgeplänkel, das sie versöhnlich stimmen sollte. Denn beim letzten Mal hatte Lacy ihr deutlich gesagt, dass sie keinen weiteren Vorschuss bekommen würde – und Gwen wusste, dass Lacy es ernst meinte. Gwen war nicht dumm. Wild, rebellisch und permanent in Geldnot, aber ganz sicher nicht dumm.
    Lacy und sah auf die Uhr. Hoffentlich kam Gwen schnell auf den Punkt. In fünfundzwanzig Minuten musste sie einige VIPs durchs Krankenhaus führen.
    Gwen stellte das Glas auf den Tresen und setzte sich auf einen der Hocker auf der anderen Seite. “Also …”, begann sie betont beiläufig. “Ich schätze, du kannst dir denken, warum ich nach Hause gekommen bin.”
    Ohne aufzusehen, beförderte Lacy einen Prospekt in den Papierkorb. “Ich habe mir schon gedacht, dass du nicht hier bist, um etwas Zeit mit deiner Familie zu verbringen.”
    Gwen gab ein wenig freundliches Geräusch von sich. “Familie?” Sie trank, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und schmunzelte geringschätzig. “So nennst du uns? Eine Familie? Dabei sind wir eher wie zwei bemitleidenswerte Haustiere, die mein Vater in diesen goldenen Käfig gesperrt hat.”
    “Gesperrt?” Lacy lächelte. “Findest du das nicht etwas übertrieben? Du kannst doch gehen, wann immer du willst.”
    “Ha!” Gwen lutschte an ihrem Mandarinenstück, und der Saft rann ihr über die Finger. Malcolm hatte ihre Tischmanieren gehasst. Einmal, vor vielen Jahren, hatte Lacy sie in Schutz genommen und darauf bestanden, dass die Ungeschicklichkeit ihrer Stieftochter einen gewissen Charme besaß.
    “Sicher, ich kann gehen”, sagte Gwen und leckte sich den Saft von den Fingern, als würde sie ihren Vater noch immer ärgern wollen. “Aber dazu brauche ich Geld. Welches ich nicht habe. Und da du mein Erbe verwaltest, dachte ich, du könntest mir vielleicht aushelfen.”
    Ein Dutzend Fragen schoss Lacy durch den Kopf. Zum Beispiel die, wo Gwens Geld für diesen Monat geblieben war. Warum sie sich nicht einen Job suchte, um ihren Lebensstil mitzufinanzieren. Warum sie sich nicht ein wenig einschränkte, wenn ihr Einkommen nicht ausreichte. Wenn Gwen so weitermachte, würde sie ihr Erbe wohl spätestens mit dreißig aufgebraucht haben.
    Aber all diese Fragen hatte sie seit Malcolms Tod schon oft gestellt und nie eine Antwort bekommen. Gwen war immer nur wütend geworden, hatte sich jede Einmischung in ihr Privatleben verbeten und Lacy die Hölle heißgemacht, bis sie ihr schließlich einen Scheck ausschrieb, nur um den Frieden wiederherzustellen.
    Aber genug war genug. Malcolm hatte sein Testament absichtlich so formuliert, weil er wollte, dass Gwen möglichst lange etwas von ihrem Erbe hatte. Lacys Anlageberater hatte sie schon mehrfach davor gewarnt, zusätzliche Schecks auszuschreiben – weil Gwen sonst mit dreißig Jahren keinen Cent mehr besitzen würde.
    Lacy hatte sich geschworen, beim nächsten Mal hart zu

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