Wie Inseln im Strom
aber auch mal Astronautin und Striptease-Tänzerin werden. Und sehen Sie mich etwa im Stringtanga mit Glitzerschmuck an den Brüsten?”
Travis schien ihr die scharfe Antwort nicht übel zu nehmen. “Nein, Ma’am, das tue ich wohl nicht.” Er lächelte. “Aber ich würde es gern einmal.”
Du meine Güte, dachte sie, er ist wirklich süß. Lachend schlug sie ihm auf den Arm. “Vorsichtig, Buddy. Sie finden also, ich sollte Lehrerin werden? Ihnen würde ich nur zu gern ein oder zwei Dinge beibringen.”
Mit gespielter Angst zog er den Kopf ein und griff freundschaftlich nach ihrer Hand, um sie zur Treppe zu führen. “Gehen wir, Stormy. Ich bin völlig fertig und brauche dringend eine Dusche.”
“Ja, Sir, das tun Sie”, stimmte sie ihm zu, und er drückte ihre Hand. Hätte ich einen Bruder, dachte Gwen, müsste er so sein wie Travis. Ein bisschen Hänseln, ein paar Ratschläge und sehr viel Zuneigung …
Hatte er recht, was den Lehrerberuf anging? Vielleicht. Es gab nicht viel, das sie auf dieser kaputten Welt mochte, aber Kinder gehörten auf jeden Fall dazu. Wenn ihr Leben sich ganz anders entwickelt hätte, wäre sie möglicherweise eine verdammt gute Lehrerin geworden.
Aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Es war zu spät dazu. Das Boston College war nicht an einer dreiundzwanzigjährigen Versagerin mit einem miserablen Notendurchschnitt und fehlender Selbstdisziplin interessiert.
Daran konnte selbst Stormy, die Superseeschlange nichts ändern.
Als Lacy erwachte, fühlte sie sich wunderbar. Das war eine Überraschung, denn beim Zubettgehen hatte sie sich noch elend gefühlt – mit Muskelkater von der Arbeit am Leuchtturm, einem Sonnenbrand und einem schlechten Gewissen, weil sie Adam gegenüber völlig die Beherrschung verloren hatte, noch dazu in der Öffentlichkeit.
Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Wenn sie nun jemand gesehen hätte, wie sie ihn ohrfeigte … Pringle Island war klein, jeder kannte jeden, und meistens dauerte es keine vierundzwanzig Stunden, bis sich etwas so Skandalöses herumsprach. Sie würde den Tag damit verbringen müssen, den Schaden einzudämmen, den sie ihrem Ruf zugefügt hatte. Aber anders, als sie erwartet hatte, graute ihr nicht davor. Ganz im Gegenteil. Irgendwie hatte es ihr gutgetan, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen – offenbar hatten die Psycho-Ratgeber recht.
Sie hatte gut geschlafen. Und ungewöhnlich lange. Bevor sie kurz darauf in die Küche ging, schaltete sie das Radio ein. Es war auf einen Klassiksender eingestellt, aber heute war ihr mehr nach Soul. Sie frühstückte sonst nie, doch heute machte sie sich einen großen Obstsalat, fütterte Hamlet mit Käse und ging die Samstagspost durch.
Aus dem Lautsprecher kam ‘Stuck On You’ von Lionel Ritchie, und Lacy summte fröhlich mit, während sie die Werbesendungen aussortierte.
“Lacy?”
Sie hob den Kopf. Gwen stand in der Tür zum Frühstücksraum und sah sie verwirrt an.
“Guten Morgen”, sagte Lacy höflich. “Bist du hungrig? Ich habe jede Menge Obst.”
Gwen antwortete nicht sofort, sondern zog den Gürtel ihres Bademantels fester zu. “Das sehe ich. Was …” Sie schüttelte den Kopf, als glaubte sie zu träumen. “Was tust du?”
Lacy zeigte auf die Briefe und Rechnungen. “Ich gehe die Post durch und frühstücke.”
Aber das hatte Gwen nicht gemeint, und sie wussten es beide. Sie zeigte mit dem Kopf zum Wohnzimmer hinüber, wo im Radio gerade ein alter Song von Aretha Franklin gespielt wurde. “Ich meine, was hörst du für Musik? Das ist doch gar nicht dein Geschmack.”
“Was ist denn mein Geschmack?”
Gwen schnaubte abfällig. “Du weißt schon. Beethovens Schlaftablettensonate.”
Woher willst du das wissen, Gwen?
Fast hätte sie die Frage laut ausgesprochen.
Du bist doch fast nie hier.
Aber Lacy biss sich auf die Zunge, denn sie wollte sich diesen herrlichen Morgen nicht durch einen Streit mit ihrer Stieftochter verderben. Außerdem hatte Gwen ja recht. Lacy konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal den Sender verstellt hatte.
“Ich schätze, mir war einfach nach etwas anderem zumute.” Sie wandte sich wieder der Post zu. “Aber ich muss bald zur Arbeit, also wenn du etwas anderes hören möchtest, such ruhig einen anderen Sender.”
“Nein.” Gähnend schlurfte Gwen in den Raum und nahm sich ein kleines Stück Mandarine. “Ist schon okay.” Sie ging an den Kühlschrank. “Mir ist nach einem Glas Milch. Willst du auch
Weitere Kostenlose Bücher