Wie Jakob die Zeit verlor
Beziehung haben Jakob und Arne häufig Freunde zum Essen eingeladen, beide sind passable Köche und haben gerne gekocht. Es gab Abende, an denen sie bis spät in die Nacht mit Sandra und Jörg, Angel und Matthias und Janne dort gesessen, mehrere Flaschen trockenen Rotwein geleert und über Gott und die Welt geredet haben. Das letzte dieser Treffen ist schon Monate her, und es war schon vor elf Uhr abends beendet, weil die Gäste die gereizte Stimmung zwischen Jakob und Arne früh vertrieben hat. Das Essen nächsten Samstag ist ein Versuch, diese Tradition wieder aufleben zu lassen. Innerlich sind sowohl Jakob als auch Arne davon überzeugt, dass es ein Fiasko werden wird, aber keiner von beiden hat den Mut aufgebracht, es abzusagen.
Das Schlafzimmer ist der traurigste Raum der Wohnung. In dem großen Bett, von dem man einen Blick auf die Terrasse hat, hat sich seit Jahren nichts mehr abgespielt, das einen erröten lassen oder vielleicht sogar erregen könnte. Der Sex zwischen Arne und Jakob ist vorbei. Er begann, weniger zu werden, als sie sechs Jahre zusammen waren, und hörte irgendwann ganz auf, ohne dass sie sich der Tatsache richtig bewusst wurden. Insgeheim schieben es beide darauf, dass ihr Interesse aneinander durch zu viel Alltag abgetötet wurde. Eines Tages stellten sie stattdessen in stummem Einverständnis einen Fernseher auf das Sideboard an der gegenüberliegenden Wand, und während Arne jetzt vor dem Schlafengehen im Bett noch E-Mails beantwortet oder im Internet surft, sieht sich Jakob eine Castingshow an oder eine der Wiederholungen von StarTrek , die immer irgendwo laufen. Jakob glaubt, dass sein Freund seine sexuellen Bedürfnisse während seiner Dienstreisen quer durch Deutschland befriedigt, beim Besuch eines Autobahnparkplatzes oder einem diskreten Treffen in einem Hotel. Er selber hatte früher in Arnes Abwesenheit hin und wieder einen Übernachtungsgast, jemanden, den er abends in einer Kneipe aufgelesen hat, in einer Sauna, Zufallsbekanntschaften, deren Namen er schon wieder vergessen hatte, bevor sie am nächsten Morgen die Wohnungstür hinter sich zuzogen. Aber in letzter Zeit gibt er sich damit zufrieden, hin und wieder vor dem Einschlafen zu onanieren. Wenn nicht einmal er selbst seinen Körper reizvoll findet, wie kann dann ein anderer Mann scharf auf ihn sein? Ein solches Szenario übersteigt seine Vorstellungskraft.
Jakob wandert durch die Wohnung, während das Radio im Hintergrund weiterplärrt und das Gewitter näher kommt. Grau-schwarze Wolken türmen sich jetzt wütend am Horizont, Richtung Süden zuckt ein erster Blitz, und die Bambusstöcke auf der Terrasse biegen sich im auffrischenden Wind. Er hat keine Lust, zurück in die Gärtnerei zu gehen. Zum einen ist es sowieso schon kurz vor achtzehn Uhr und der Betrieb schließt in einer Stunde, zum anderen hat er sich für den Rest des Tages abgemeldet. Der Auftrag für die Hochzeit ist erledigt, er hat den Blumenschmuck aus weißen Lilien und roten Rosen am Morgen persönlich in dem kleinen Gasthaus abgeliefert und den Raum für die Feier dekoriert, anschließend hat er die Rechnung fertiggemacht und abgeschickt. Die Auswahl der Blumen spiegelt nicht seinen persönlichen Geschmack wider, er hat Sonnenblumen vorgeschlagen, aber das Hochzeitspaar war dagegen. Den Rest, das ganze normale Tagesgeschäft, werden Karsten und Ahmed, seine Angestellten, auch ohne ihn bewältigen. Beide haben einen Schlüssel, sie können den Betrieb abschließen.
Jakob lässt sich müde auf das Sofa im Wohnzimmer fallen. Die Sitzungen bei Silky Legs zehren an seinen Kräften. Es ist anstrengend, sich gegen die Fragen der Therapeutin zu stemmen. Manchmal würde er die ganze Sache am liebsten platzen lassen.
Aus der Küche dringt eine Melodie an sein Ohr und unterbricht seinen Gedankengang. Er weiß sofort, welcher Titel es ist: Bananarama mit „Venus“.
Marius tanzt; mit leuchtenden Augen und einem begeisterten Grölen ist er mit Dutzenden anderen auf die Tanzfläche des „Coconut“ gestürmt, als er die ersten Takte des Liedes erkannt hat. Das „Coconut“ ist eine weitere, sehr angesagte, schwule Diskothek in Köln, es hat dem „Pimpernel“ den Rang abgelaufen, und Bananarama sind hip, sie sind die neuen Stars der Schwulenszene. Marius hält sich ein Fläschchen Poppers an die Nase, atmet ein und tanzt mit diesen geschmeidigen Bewegungen, die Jakob überall auf der Welt sofort wiedererkennen würde. Dabei sieht er Jakob wie in Trance mit einem
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