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Wie Jakob die Zeit verlor

Wie Jakob die Zeit verlor

Titel: Wie Jakob die Zeit verlor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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kämpfen!“
    „Es ist sinnlos, einen Kampf zu führen, den man nicht gewinnen kann“, flüsterte Marius mit gesenktem Kopf.
    „Dann kannst du dich auch gleich ins Bett legen und aufgeben.“ Jakob verstand seinen Freund nicht. Marius schien sich vor seinen Augen zu verändern. Der starke Mann, an den er sich in der vergangenen Zeit so gerne angelehnt hatte, verwandelte sich in jemanden, den er kaum kannte. Der sein vermeintliches Schicksal ohne Gegenwehr akzeptierte, es beinahe wie ein Märtyrer ertrug. Manchmal wollte Jakob ihn schütteln, ihn wachrütteln, aber er hatte Marius’ Argumenten nichts entgegenzusetzen außer dem Willen weiterzuleben.
    Katrin hatte der Auseinandersetzung schweigend zugehört. Während ihr Jakob anschließend vom Besuch in der HIV-Ambulanz berichtete, setzte sie Kaffee auf, stellte Tassen und Teller auf den Tisch. Marius ging dazwischen, räumte das Geschirr wieder weg.
    „Das geht nicht, Katrin. Wir haben unser eigenes Zeug mitgebracht.“ Er zog eine Grimasse und deutete auf das Plastikgeschirr und das Besteck, das er aus seinem Rucksack holte. „Es ist nur … wir sollten nicht mit deinen Kuchengabeln essen. Wir … wir sind nicht sicher, ob das Virus dann nicht auch da dran klebt und …“ Seine Stimme versagte, und er starrte auf das Plastikbesteck in seiner Hand.
    Katrin zog die Augenbrauen zusammen. „Wisst ihr, was ich nicht verstehe? Jetzt seid ihr so vorsichtig. Warum wart ihr das vorher nicht?“
    Weder Marius noch Jakob hatten eine Antwort auf ihre Frage. „Es ist einfach passiert“, sagte Jakob schließlich. Er klang genauso ratlos wie Wochen zuvor in der Uniklinik.
    „Aber wieso? Ich meine … was ist so schlimm daran, sich ein Gummi überzustülpen?“
    „Sagte die Frau, die nie in die Verlegenheit kommen wird.“
    „Haha! Ich muss mich auch andauernd um Verhütung kümmern!“
    „So ein Gummi nimmt mir etwas weg“, erwiderte Jakob zögernd. „Den Spaß am Sex.“
    „Es hätte dir etwas schenken können“, fuhr Katrin ihn an. „Deine Gesundheit.“ Jakob sah aus, als hätte sie ihm eine Ohrfeige verpasst. „Tut mir leid. Ich bin nur so durcheinander. Und ihr … ich meine, was tut ihr jetzt, um niemanden anzustecken?“
    Die beiden Männer blickten sich an. „Jeder weiß, wie man sich anstecken kann“, antwortete Marius vorsichtig. „Also … gehe ich davon aus, dass der andere schon positiv ist, wenn er mit mir ohne Gummi Sex machen will.“
    Katrin lachte ungläubig auf.„Aber das ist doch absurd! Ihr wart doch auch vorher negativ. Andere werden es ebenso sein.“
    „Ich ziehe ihn raus, bevor ich komme“, warf Jakob ein.
    Sie rümpfte die Nase. „So genau wollte ich das gar nicht wissen.“
    Marius seufzte. „Ach, Sex … Es gibt viele, die mit Gummis Probleme haben. Wir sind der beste Beweis“, versuchte er Jakob und sich zu verteidigen. Aber wie konnte er Katrin klarmachen, was ihnen erst selbst langsam bewusst wurde? Dass die Sorge um die Gesundheit anderer geringer war, wenn sie keinen Namen, keine Geschichte hatten. Dass man mit dem Hinweis auf die Selbstverantwortung jedes einzelnen das eigene Handeln leichter verschleiern konnte. Und dass es so viel einfacher war zu verdrängen. „Es ist immer in meinem Kopf“, sagte er leise. „Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute. Nur beim Sex kann ich abschalten. Aber wenn ich so ein Gummi überziehe, dann sind die Gedanken an das Virus sofort wieder da, und ich krieg keinen mehr hoch. Das war schon vorher so … vor der Infektion. Das Virus … es hat alles kaputt gemacht.“
    „Also, wenn ich an eurer Stelle wäre …“
    „Bist du aber nicht!“, fiel ihr Jakob ins Wort. „Niemand ist an unserer Stelle!“ Er hatte die Melancholie in Marius‘ Stimme gehört und war auf einmal wütend, hatte das Gefühl, ihm beistehen, ihn beschützen zu müssen, sogar vor seiner besten Freundin. „Ihr Heteros … für euch ist es doch ganz praktisch, wenn wir alle an Aids krepieren“, teilte er unvermittelt aus. „Eine unangenehme Minderheit weniger, auf die man Rücksicht nehmen muss.“
    „Was soll denn das jetzt?“, regte sich Katrin auf. „So was hab ich nie gesagt!“
    „Nein, noch nicht!“ Jakob war plötzlich nicht mehr zu bremsen. „Noch sagen es nur diese scheinheiligen, fundamentalistischen Christen in Amerika, die Aids für die Strafe Gottes halten. Und natürlich dieser Ratzinger, dieser Kotzbrocken von Kardinal, der erklärt hat, dass es die Natur ist, die sich wehrt …“
    „Ach, na

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