Wie Jakob die Zeit verlor
ja, die Kirche …“
„Aber viele denken so! Gauweiler denkt so! Und früher oder später werden auch andere sagen, dass die Schwulen es nicht besser verdient haben.“
„Vielleicht hättet ihr wirklich besser aufpassen können!“
„Es ist nicht so einfach!“, brüllte Jakob. „Jeder weiß, dass Alkohol und Zigaretten schädlich sind, und trotzdem rauchen und trinken die Leute.“
„Schon, aber Rauchen und Trinken ist nicht ansteckend!“
Jakob starrte Katrin wütend an. „Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“, fragte er.
Marius griff ihm an die Schulter. „Nicht, Jakob …“
„Auf deiner natürlich, du Idiot“, sagte Katrin. „Auf eurer. Ich denke nur, dass … egal.“ Sie schüttelte den Kopf und wechselte vorsichtshalber das Thema. „Ich hab in Schottland hin und wieder Berichte über Gauweiler gelesen. Meine Mutter hat mir den Spiegel regelmäßig nachgeschickt. Werdet … werdet ihr jetzt auch registriert?“
Jakob verneinte. „Das gibt’s zum Glück nur in Bayern.“
„Sei dir nicht so sicher, dass Gauweiler nicht doch gewinnt“, entgegnete Marius dumpf. „Der Mann ist gefährlich. Wenn der sich mit seiner harten Linie durchsetzt … mit der Registrierung hat in Deutschland schon mal alles angefangen. Danach wurde ausgesondert, interniert, und zum Schluss …“ Er verstummte.
„Vielleicht … vielleicht kommt ja auch alles ganz anders“, entgegnete Katrin.
„Anders? Was meinst du?“
Sie malte gedankenverloren mit ihrem Zeigefinger einen Kreis auf den Tisch. „Ich dachte nur so … dass Aids ja auch eine Chance sein kann … vielleicht erwächst daraus ja auch mehr Verständnis für Schwule und Lesben in der Gesellschaft …“ Sie zögerte, als sie Jakobs und Marius‘ hochgezogene Augenbrauen bemerkte. „Ich meine … könnte es nicht sein, so in zehn oder zwanzig Jahren …?“
„Ja, klar!“, erwiderte Jakob. Die Vorstellung war so absurd, dass er trotz allem grinsen musste. „Ich sehe sie schon vor mir, die schwule Gleichberechtigung …“
„Gesellschaftliche Gleichstellung …“, fiel Marius ein und begann ebenfalls zu kichern.
„Homo-Ehe …“
„Ein Anti-Diskriminierungsgesetz …“ Plötzlich mussten alle drei lachen.
„Ein Recht auf Adoption …“
„Ehegattensplitting …“, brachte Katrin heraus und erntete noch mehr Heiterkeit.
Bis Jakob plötzlich wieder ernst wurde und sagte: „Das werden wir wohl nicht mehr erleben.“
„Nein“, stimmte ihm Marius zu. „Das werden wir nicht.“
Eine Weile herrschte verunsichertes Schweigen, und alle drei lauschten dem Regen, der an das Küchenfenster prasselte. Ein schmaler Streifen Himmel am Horizont hellte sich auf und verkündete ein Ende des Niederschlags. Katrin schnitt den Kuchen an und verteilte die Stücke auf die Plastikteller, die ihr Marius reichte. „Nein!“, sagte sie plötzlich und hielt inne. „Es ist mir egal. Das geht nicht. Ich glaube das nicht.“ Sie riss Marius die Teller aus der Hand und warf sie zusammen mit den Plastiktassen und dem Plastikbesteck in den Mülleimer. „Notfalls schrubbe ich euer Geschirr mit Desinfektionsmittel ab. Aber ich kann euch nicht von diesem Plastikzeug essen lassen.“
Jakob fühlte erneut Tränen hochsteigen, aber dieses Mal, zum ersten Mal seit Wochen, waren es Tränen, denen etwas Gutes zugrunde lag und die das enge Gefühl in seiner Kehle ein wenig entspannten.
„Heulsuse“, brummte Katrin und reichte ihm ein Taschentuch.
Er wechselt gerade die Streu in Clintons Katzenklo, als das Telefon klingelt. Hektisch durchsucht Jakob das zunehmende Chaos in der Wohnung nach dem Apparat, sieht unter leeren Pizzakartons nach, in der auf dem Boden verstreuten Schmutzwäsche, zwischen den CDs, die er in den letzten Tagen gehört und dann nicht wieder an ihren Platz geräumt hat. Schließlich findet er ihn versteckt im Badezimmer auf dem Fensterbrett neben Marius’ Farn. Für einen glorreichen Augenblick hofft er, dass Arne der Anrufer ist, aber die Nummer auf dem Display sagt ihm nichts. Unwillig meldet er sich.
„Hi“, nuschelt eine junge Stimme, die er im ersten Moment nicht zuordnen kann. „Ich … hier ist Philip.“ Jakob schweigt überrascht. „Ich … fuck … da waren diese Typen … bist du noch dran?“ Die Stimme des Jungen klingt verwaschen, er hat Mühe, ihn zu verstehen.
„Was für Typen?“
„Keine Ahnung! Typen halt! Irgendwelche Wichser, die mal einen Stricher zusammenschlagen wollten eben.“
Jakob reibt sich durchs
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