Wie Jakob die Zeit verlor
Katzenfutter besorgt? Wo war das Katzenfutter?
„Jakob?“
„Ich … nein, Blödsinn.“ Es war einfacher, Marius anzulügen, als ihm wehzutun und die Wahrheit zu sagen. „Mach dir keine Sorgen. Er … er gibt mir einfach etwas, was ich im Moment brauche.“
„Und was ist das?“ Marius wirkte trotz allem verletzt.
„Ich weiß es nicht“, erwiderte Jakob, und zumindest das war nicht gelogen. „Ich … ich würde ihn gerne weitersehen. Ist das okay?“
Marius nickte zögernd. „Ich denke.“ Er stand auf und drückte sich an Jakob. „Verlass mich nicht. Bitte. Bitte nicht.“
Arne raucht eine Zigarette. Die linke Hand hinter dem Kopf verschränkt, sieht er zu, wie sich der Rauch in der Luft kräuselt und die Tabakwolke dem offenen Fenster entgegenschwebt, sich vermischt mit dem Duft des spätblühenden Ginsters im Blumenbeet hinter dem Apartment. Jakob könnte ihm wahrscheinlich den lateinischen Namen der Pflanze nennen.
Arne hat seit Jahren nicht mehr geraucht, seit Jahrzehnten, und schon gar nicht im Bett. Aber Philip hat die Zigarette angezündet und ihm einfach zwischen die Lippen geschoben und gesagt: „Mach mal was, was gegen die Regeln ist. Mach dich mal locker, Mann!“
„Bin ich zu verkrampft?“, hat Arne gefragt, aber Philip war schon auf dem Weg zur Dusche. Als Arne das Rauschen des Wassers im Badezimmer hört, steht er auf und wirft die Zigarette aus dem Fenster.
Philip wohnt jetzt schon vier Tage bei ihm, und er macht keine Anstalten zu gehen. Er hat die Kargheit der Wohnung beinahe kommentarlos zur Kenntnis genommen.
„Und wo sind die Kartons, wenn du gerade eingezogen bist?“ Als Arne nur etwas hilflos mit den Schultern zucken konnte, hat er genickt und gesagt: „Schon okay, geht mich ja auch nichts an.“ Und damit war das Thema für ihn erledigt. Er scheint kein Interesse daran zu haben, die Realität zu hinterfragen; lieber nimmt er sie so, wie sie ist. Für Arne ist das eine ganz neue Erfahrung.
Er bildet sich ein, dass Philip deshalb so viel Zeit mit ihm verbringt, weil er seine Gesellschaft mag und weil der Sex mit ihm gut ist, aber natürlich hat er mitbekommen, dass Philip keinen festen Job und keine feste Bleibe hat und Arnes Bekanntschaft ihm schon deshalb durchaus gelegen kommt. Aber all das ist ihm seltsam egal. Die Situation passt zu seinem derzeitigen Leben, einer Existenz im Schwebezustand. Alles ist im Fluss, unabgeschlossen: seine Beziehung zu Jakob, seine unerklärliche Willenlosigkeit, an seiner trostlosen Wohnungssituation etwas zu ändern, seine Suche nach Antworten. Philips Bekanntschaft erscheint ihm da irgendwie logisch. Zu keiner Zeit vorher wäre er bereit gewesen, sich auf jemanden wie diesen seltsamen Freigeist einzulassen, der keinen Gedanken an morgen verschwendet und noch nicht einmal eine Uhr besitzt.
Arne hat versucht, die Zeitmesser in dem Apartment – die Uhr am Herd, den billigen Radiowecker am Kopfende des Bettes, den er sich kurzentschlossen zusammen mit ein paar Handtüchern und einigen anderen Lebensnotwendigkeiten im Kaufhaus zugelegt hat – mit seiner Armbanduhr in Einklang zu bringen. Aber es ist, als hätte er die Asynchronität der Zeit aus der gemeinsamen Wohnung mit Jakob hierhin eingeschleppt wie ein Virus. Die Uhren lassen sich einfach nicht korrekt einstellen. Und dann hat Philip seine Bemühungen endgültig sabotiert, als er den Stecker des Radioweckers gezogen hat, um sein neues Handy aufzuladen.
Arne hat eine vage Vorstellung davon, was Philip in der Zeit tut, die er im Büro verbringt, aber er ist klug genug, nicht nachzufragen. Hin und wieder trägt der Junge andere Sachen, also muss er irgendwo einen Unterschlupf haben, eine Art Basislager. Außerdem kommuniziert er andauernd per Handy, verschickt Dutzende SMS pro Tag. Immer wieder greift seine Hand in die Hosentasche und gräbt sein Mobiltelefon hervor, wirft er einen kurzen Blick auf eingegangene Nachrichten. Dass er Philip mit anderen Männern teilen muss, Männer, die für seinen Körper bezahlen, ist Arne unangenehm, und er verscheucht die Gedanken daran wie eine lästige Fliege. Es ist Philips Leben, und er, Arne, wäre sicherlich der Letzte, der so etwas wie Besitzansprüche anmelden könnte. Trotzdem … wenn er durch seine Beziehung mit Jakob nicht so ernüchtert wäre, so ausgebrannt, könnte ihm die Vorstellung, etwas Ernsthaftes mit Philip zu versuchen, durchaus gefallen. Arne mag seine Unbekümmertheit, seine Sorglosigkeit, sein Lachen, ihre Kabbeleien.
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