Wie Jakob die Zeit verlor

Titel: Wie Jakob die Zeit verlor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter

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Situation zu klären und die Gemüter zu beruhigen, aber Philip ist an einer Klärung nicht interessiert. Für einen Augenblick starrt er Arne an, und Arne begreift, dass er versagt hat, dass seine Unfähigkeit, Philip zur Seite zu stehen, ihn mehr verletzt hat, als das Gegrapsche des Besoffenen.
    Dann dreht sich Philip auf dem Absatz herum und verschwindet aus Arnes Leben, als wäre er nie darin vorgekommen.
    August 1988
    Das Gladbecker Geiseldrama und dessen Folgen beschäftigen wochenlang Politik und Medien. Zwei bewaffneten Männern – Dieter Degowski und Hans Jürgen Rösner – gelingt es, eine Bank in der Stadt im Ruhrgebiet auszurauben. Unbehelligt von der Polizei entkommen sie erst mit einem Fluchtfahrzeug, dann bringen sie einen Bus mit über dreißig Fahrgästen in ihre Gewalt, gehen zwischendurch noch einkaufen und führen Interviews mit den Medien, zum Beispiel in einer Fußgängerzone in Köln. Erst nach drei Tagen werden Degowski und Rösner überwältigt, insgesamt sterben bei dem Drama drei Menschen: zwei Geiseln und ein Polizist. Bei der Aufarbeitung des Falles wird ein ungeheures Ausmaß an Inkompetenz bei allen beteiligten Polizeistellen sichtbar, genauso wie ein unverantwortliches Verhalten der Medien.
    Ermuntert von der Glasnost- und Perestroika-Politik des sowjetischen Präsidenten Gorbatschow nehmen die Unruhen im Ostblock zu: In Estland, Litauen und Lettland demonstrieren mehr als 100.000 Menschen für die Unabhängigkeit der baltischen Staaten, in Polen kommt es immer wieder zu Streikwellen gegen das Verbot der Gewerkschaft Solidarnosc, in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin kampieren die ersten DDR-Bürger, um ihre Ausreise zu erzwingen.
    In der medizinischen Forschung wird zunehmend deutlich, wie variationsreich und wandelbar das Aids-Virus ist. Als Beispiel nennen US-amerikanische Forscher unter anderem die Blutprobe eines HIV-Infizierten, die 17 unterschiedliche HIV-Varianten aufwies. Bei einer erneuten Blutuntersuchung des gleichen Probanden 16 Monate später war keines der Viren mehr mit den Erregern der ersten Blutprobe identisch.
    Außerdem werden erste Zusammenhänge entdeckt zwischen Infektionsrisiko und der Schwere der Aids-Erkrankung. Es gibt bereits Untersuchungen, wonach Vollbild-Patienten erheblich infektiöser sind als Infizierte, die noch keine Aids-Symptome entwickelt haben.
    In Großbritannien stehen Yazz & the Plastic Population mit „The Only Way Is up“ an der Spitze der Charts, in Deutschland Frank Farians Retortenband Milli Vanilli mit „Girl, You Know It’s True“.
    Jakob hätte es kommen sehen müssen. Man kann nicht zwei Männer gleichzeitig lieben. Er jedenfalls konnte es nicht.
    Manchmal reichte schon ein Blick, um ihn zu erregen. Ein Blick in Stefans nachtschwarze, undurchdringliche Augen, denen er sich nicht entziehen konnte. So wie an diesem Abend, an dem sie im „Teddy Treff“ etwas trinken gewesen waren, sich heiß gemacht hatten mit Küssen am Tresen, ins Ohr geraunten Versprechungen und anzüglichen Griffen in den Schritt. Dann bestand er nur noch aus Trieb und Verlangen, konnte nicht anders, als Stefan das Hemd vom Leib zu reißen, sobald sie zu Hause waren, ihn auf die Matratze zu drängen und durchzuvögeln. Es war wie ein Zwang, dem er nur allzu gerne nachgab. „O Gott“, murmelte er, als er endlich in Stefan eindrang. „Ja.“
    Die feuchte, schwüle Luft des Sommers wehte durch das geöffnete Fenster herein, staute sich im Zimmer, sammelte sich auf seiner Stirn und rann ihm über das Gesicht, während er zustieß.
    „Mehr“, forderte Stefan und warf sich ihm entgegen, „mehr!“ Er bleckte die Zähne, und Jakobs Schwanz ließ ihn stöhnen, stammeln und betteln. Bis beide in stummem Einverständnis plötzlich innehielten, verharrten und diese unbeschreibliche Nähe genossen, die durch ihre Körper floss, um dann wieder von vorne zu beginnen und schließlich erschöpft und verschwitzt aufeinander zu kollabieren.
    Nach einer Weile rollte Jakob zur Seite, fühlte, wie der Schweiß seine Haut kühlte. Selbst mit geschlossenen Augen konnte er den Schein der flackernden Kerzen wahrnehmen, die Stefan trotz der Wärme angezündet hatte. Ein rötlicher Schimmer, der vor seinen Pupillen tanzte: Noch Jahre später, für den Rest seines Lebens, würde er brennende Kerzen und jene drückende Sommerhitze mit Stefan verbinden, mit dem besten Sex, den er je gehabt hatte.
    Was ihn jedoch am meisten an diesem Mann faszinierte, war