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Wie keiner sonst / ebook (German Edition)

Wie keiner sonst / ebook (German Edition)

Titel: Wie keiner sonst / ebook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas T. Bengtsson
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größer.
    »Wo fahren wir hin, Vater?«
    »Du wirst schon sehen.«
    Zuerst fürchte ich, dass wir wieder umziehen, aber wir haben unsere Sachen nicht dabei.
    »Wo fahren wir hin?«
    »Hörst du nie auf zu fragen?«
    »Nein.«
    Er lächelt.
    »Gut so. Natürlich sollst du immer fragen.«
    »Also, wo fahren wir hin?«
    »Du sollst in die Schule. Wir machen da weiter, wo wir aufgehört haben.«
    »Religionsunterricht?«
    »Nicht ganz.«
    Wir verlassen den Bahnhof, gehen an großen Villen vorbei. Aus den Fenstern scheint warmes Licht, in den Einfahrten stehen Autos. Schließlich gelangen wir an ein großes, rotes Tor. Ein paar Leute kommen uns entgegen, sie laufen dicht nebeneinander, die Hände in den Taschen, die Krägen hochgezogen. Bald sind wir allein auf dem Weg.
    »Seit vielen Hundert Jahren besuchen die Kopenhagener den Wildpark in Jægersborg«, sagt mein Vater. Der sandige Boden unter unseren Füßen hebt sich hell vom dunklen Gras und den dunklen Bäumen ab.
    »Sie wollten ein Stück ungefährliche Natur, wo ihre Schuhe nicht kaputtgingen. Hier gibt es gerade Wege, und wenn die Tiere sich zu sehr vermehren, werden sie geschossen. Aber wenn die Sonne untergegangen ist, gehört der Park nicht mehr den Menschen.«
    Hinter uns wird das rote Tor kleiner und kleiner. Ich muss die Augen zusammenkneifen, um seine Umrisse in der Dämmerung zu erkennen. Mein Vater nimmt meine Hand und hilft mir über den Graben, wir verlassen den Weg, gehen durch saftiges Gras. Morsche Zweige knacken unter unseren Füßen.
    »Wir haben vergessen, was wir können«, sagt mein Vater und hilft mir über einen Baumstamm. »Wir haben vergessen, dass wir einmal alles konnten, was die Tiere können.«
    Wir treten in den Wald ein, man sieht kaum die Hand vor Augen.
    »Tiere wissen immer, was sie tun müssen. Hast du je einen verwirrten Fuchs gesehen?« Mein Vater lacht im Dunkeln.
    »Wir haben das Fernsehen erfunden und schicken Menschen zum Mond. Wir stellen Schießpulver her und Kugeln. Aber wir haben völlig vergessen, was wir einmal konnten. Die Tiere können es noch. Du weißt doch, wie Vögel in Formationen fliegen. Hunderte von ihnen formen ein großes V am Himmel. Was glaubst du, wie sie das machen? Meinst du, sie sprechen vorher ab, wer voranfliegt, und teilen Nummern aus?«
    Auf einer Lichtung bleibt mein Vater plötzlich stehen, ich stoße schmerzhaft mit der Nase gegen seinen Rücken. Er zeigt auf die andere Seite der Lichtung. Dort steht ein Hirsch. Er dreht den Kopf, steht ganz still und sieht uns an, dann verschwindet er zwischen den Bäumen.
    Wir gehen weiter über den holprigen Waldboden.
    »Erfahrene Fischer, die auf den kleinen Booten, die das Meer kennen, brauchen nur übers Wasser zu schauen, um einen nahenden Sturm zu spüren, auch wenn es noch windstill ist. Fragst du sie, wie sie das tun, wissen sie keine Antwort.«
    Mein Fuß versinkt in einem Wasserloch, ich kann ihn kaum herausziehen, Schuhe und Strümpfe sind klatschnass. Ich muss mich beeilen, um meinen Vater einzuholen.
    Auf der anderen Seite der Lichtung gehen wir wieder in den Wald. Ich reibe die Hände aneinander, blase warme Luft in die hohle Faust. Vor mir erkenne ich gerade noch den Rücken meines Vaters. Ich folge seiner Stimme.
    »Irgendwann haben wir aufgehört, an Dinge zu glauben, die wir nicht verstehen. Die feinen Nackenhaare sind uns ausgefallen, seit wir in Städten wohnen.«
    Das Gestrüpp wird dichter, Zweige peitschen mir ins Gesicht und zerreißen meine Kleidung, aber ich laufe weiter, habe Angst, meinen Vater zu verlieren.
    »In der Stadt gibt es andere Überlebensstrategien. Man kann die anderen betrügen, sie übers Ohr hauen und ihnen das Geld aus der Tasche ziehen. Man muss sich nicht mehr die Hände schmutzig machen. Deshalb sind wir heute so klug. Weil die einen betrügen gelernt haben und die anderen ständig aufpassen müssen, nicht betrogen zu werden.«
    Wir gehen immer tiefer in den Wald. Ich höre kleine Tiere, sehe Augen im Dunklen aufleuchten. Ich halte den Ärmel vor den Mund, will nicht, dass mich die Tiere weinen hören.
    Wir gehen um einen Baumstumpf, durch ein niedriges Gebüsch, und plötzlich sind wir wieder auf dem Weg, ich sehe das rote Tor, durch das wir gekommen sind, und die Straßenlaternen davor.
    Mein Vater hebt mich hoch, er trägt mich und setzt mich erst ab, als wir vor dem Kaffeeautomaten in der S-Bahn-Station stehen. Er steckt Geld hinein und zieht mir einen heißen Kakao. Ich trinke in kleinen Schlucken, er

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